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Sandra Herbsthofer
Sandra Herbsthofer

Statistisch gesehen kennen wir alle mindestens eine Frau, die bereits eine Fehlgeburt erlebt hat – oder noch erleben wird. Trotzdem wird kaum über das Thema gesprochen.

Es ist eine Erfahrung, die viele Frauen teilen: der Verlust eines ungeborenen Kindes. Etwa 15 bis 20 Prozent aller festgestellten Schwangerschaften enden vorzeitig. Was bei den Betroffenen zurückbleibt, sind häufig Trauer, Scham, Schuldgefühle und Einsamkeit.

Fehlgeburten sind kein Tabuthema

Ein Plädoyer für mehr Offenheit: Wir haben Argumente dafür gesammelt, warum wir mehr über Fehlgeburten sprechen sollten.

1. Jede dritte Frau von Fehlgeburt betroffen

23 Millionen Fehlgeburten gibt es jedes Jahr weltweit. Das entspricht 44 Schwangerschaftsverlusten pro Minute. Laut Informationen des Deutschen Bundestags erleidet jede dritte Frau eine Fehlgeburt. In einer anderen internationalen Studie ist die Rede von etwa jeder 9. Frau – die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher sein. Das liegt unter anderem daran, dass die meisten Fehlgeburten so früh passieren, dass sie häufig unerkannt bleiben. Auch deshalb ist es nicht überraschend, dass viele werdenden Eltern die eigene Schwangerschaft in den ersten Wochen für sich behalten – es könnte ja doch noch was passieren. Tatsächlich ereignen sich die allermeisten Fehlgeburten in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft. Die Gründe dafür sind allerdings nicht immer klar.

In einigen Fällen, bleibt es allerdings nicht bei einer Fehlgeburt. Knapp ein Prozent aller Frauen hat mit drei oder mehreren Fehlgeburten zu kämpfen.

Eine von ihnen ist Reality-Star Carmen Geiss („Die Geissens“). Im SWR3-Podcast „1 plus 1 – Freundschaft auf Zeit“ teilt sie ihre Leidensgeschichte: Erst nach neun Schwangerschaftsverlusten und einer Eileiterschwangerschaft erfüllt sich für Carmen und Robert Geiss der lang ersehnte Kinderwunsch. Heute sind die beiden Eltern von zwei Töchtern: Davina Shakira (20) und Shania Tyra (19).

Als ich dann Mutter wurde hab ich mir gedacht: Oh mein Gott, jetzt hast du etwas Eigenes, das nur dir alleine ist. […] Also für mich waren das Wahnsinnsgefühle – eben auch wegen meiner Vergangenheit.

Mehr von Carmen Geiss und ihrem Ehemann in unserem Podcast hier:

Für Frauen, die von mehreren Fehlgeburten betroffen sind, lohnt es sich, vorzeitig Ursachenforschung zu betreiben, erklärt der Reproduktionsmediziner und Facharzt für Gynäkologie Prof. Dr. Dr. Wolfgang Würfel:

Grundsätzlich kommt es natürlich auf das Alter der Frau an. Es gibt aber sehr gute Untersuchungen, die zeigen, dass alles, was im normalen reproduktiven Alter über zwei Fehlgeburten hinausgeht, eine – wie man in der Medizin sagt – systemische Ursache hat. Da stimmt irgendetwas nicht. Daher würde ich dazu raten, hier genau hinzuschauen und früh zu intervenieren.

Für Carmen und Robert Geiss ist der Traum vom Familienglück am Ende gut ausgegangen – trotz zahlreicher Rückschläge. Hoffnung für Paaren in ähnlichen Situationen kommt auch von Prof. Dr. Dr. Wolfgang Würfel:

„Wenn man nach den Mechanismen fahndet, die hier querschießen, und die dann eliminiert – dann kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass diese Menschen anschließend oft völlig ungestörte Schwangerschaften haben.“

Man sieht also: Wenn Störfaktoren beseitigt sind – vorausgesetzt genetisch ist alles in Ordnung – dann läuft das wieder, auch wenn es davor 5, 6 oder 10 Fehlgeburten waren.

Nicht nur die Geissens hatten mit Schwangerschaftsverlusten zu kämpfen. Seit einigen Jahren sprechen immer mehr prominente Frauen öffentlich über ihre Fehlgeburten – darunter beispielsweise Ex-„Germany's next Topmodel“-Kandidatin und Schauspielerin Marie Nasemann und die ehemalige First Lady, Michelle Obama.

EXCLUSIVE: @MichelleObama to @RobinRoberts on suffering a miscarriage 20 years ago: “I felt lost and alone.” More coming up on @GMA and then watch the @ABC special covering her journey to motherhood and more from her memoir, "Becoming," Sunday night 9/8c. https://t.co/LivWLBgeRA pic.twitter.com/gzIe8LTYC2

Dass die Frauen ihre Geschichten teilen, hilft sicherlich auch, das Thema endlich nicht mehr als Tabu zu sehen – und es bringt uns gleich zum nächsten Punkt:

2. Über Fehlgeburten sprechen

Trotz prominenter Vorbilder: Immer noch ist es für viele Betroffene schwierig, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Ganz selbstverständlich gilt natürlich: Jeder Mensch geht mit seinen Erlebnissen und Gefühlen anders um und niemand sollte gezwungen werden, sich mitzuteilen.

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Ann-Kathrin Pütz ist Psychologin und berät bei pro familia Frauen und deren Partner, die eine Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt, Totgeburt oder einen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch erlebt haben.

Sie meint: „Manche Menschen kommen nach einer Fehlgeburt gut klar, haben ein tolles Umfeld und genug Ressourcen.“ Das ist allerdings nicht bei allen der Fall. Einige Betroffene haben das Gefühl, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird oder sie merken, dass sie im eigenen Umfeld nicht das Verständnis bekommen, das sie bräuchten – hier könnte Beratung helfen.

Wichtig ist, zu verstehen, dass es sich um einen Trauerprozess handelt. Trauer ist ja sowieso etwas, was am Rande der Gesellschaft passiert. Wie man sich in der Trauer fühlt, ist oft sehr unbekannt.

„Während des Trauerprozesses können heftige Gefühle an die Oberfläche kommen: Trauer, Einsamkeit, Schuld, Wut, Verzweiflung. In der Beratung wird Raum geboten, ebendiese Gefühle zu sortieren. Nicht jeder Moment, muss sich gleich schwer anfühlen. Alles darf ausgesprochen und erlebt werden.“

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3. Trauernde fühlen sich oft nicht ernst genommen

Ein Grund, warum Betroffene sich nicht mitteilen möchten, könnte sein, dass sie sich in ihrer Trauer nicht ernst genommen fühlen. Sätze wie „Das Kind war ja noch gar nicht auf der Welt“ können für Trauernde verletzend sein und dafür sorgen, dass sie sich unverstanden fühlen und wütend werden.

„Wenn Paare bei so einer Aussage Wut spüren, würde ich sagen, sind die Gefühle genau richtig. Seien Sie wütend! Nutzen Sie die Energie, die da drinsteckt und machen Sie etwas Gutes draus!“, sagt Ann-Kathrin Pütz.

Oft fallen solche Sätze aus Selbstschutz. Wenn wir uns selber überlegen, dass ein Mensch, der so sehnsüchtig erwartet wurde, gestorben ist, das macht ganz schön betroffen und auch Angst – deshalb schieben wir es gerne weg.

Wie können Angehörige, Partner:innen oder der Freundeskreis mit Trauernden sensibel umgehen? Ann-Kathrin Pütz hat Tipps parat:

Wichtig ist, erstmal zu gucken: Welche Haltung habe ich dazu? Habe ich überhaupt die Kraft und die Nerven, die betroffene Person zu begleiten? Wenn ich Angst habe oder mich unsicher fühle, ist es oft besser, das anzusprechen, anstatt pauschale Aussagen zu treffen die schnell trösten sollen.

Hilfreich kann auch sein, die Sprache der Trauernden zu übernehmen. Wenn zum Beispiel von einem Baby gesprochen wird, kann es helfen, wenn genau dieser Ausdruck im Gespräch auch von Angehörigen und Freunden übernommen wird.

4. Fehlgeburten haben nichts mit Fehlern zu tun

Fehlgeburten sind für viele Frauen mit Scham und dem Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, behaftet. Betroffene suchen häufig den „Fehler“ bei sich: Mussten die Überstunden wirklich sein? Hätte ich besser auf mich achten müssen? Habe ich mich und meinen Körper überanstrengt?

Diese Gedanken kennt auch Ann-Kathrin Pütz. Sie weiß, wie sich das Gefühl überwinden lässt, dass man den Schwangerschaftsverlust hätte verhindern können:

„Ich versuche, mit Aufklärung zu entlasten. Ich kläre auf, wie häufig Fehlgeburten sind. In den allermeisten Fällen kann auch nach Untersuchungen kein Grund für die Abortion gefunden werden.“

Die Schuld liegt ziemlich wahrscheinlich nicht bei der Schwangeren.

Wichtig wäre laut Ann-Kathrin Pütz auch zu fragen: Was ist die Funktion hinter der Schuld? „Es geht nicht um Fürsprache für das Gefühl Schuld, sondern darum zu gucken, wofür sie steht oder was sie Gutes bringt.“ Ein Schuldgefühl kann zum Beispiel die Funktion haben, dass eine starke emotionale Verbindung bleibt – sie wirkt gegen das Vergessen. „Manchmal geht es auch um das Gefühl der Kontrollierbarkeit, wenn ich weiß was ich falsch gemacht habe, kann ich es in Zukunft anders machen“, erklärt Pütz weiter. Hier kann es zum Beispiel in der Beratung darum gehen, für diese Funktion eine Alternative zu erarbeiten.

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5. Das Thema betrifft uns alle

Spätestens jetzt sollte uns klar sein: Das Thema betrifft uns als Gesellschaft. Dementsprechend sollten wir uns gemeinschaftlich dafür einsetzen, das Tabu zu brechen. Die Psychologin Ann-Kathrin Pütz teilt drei Gedanken, wie das klappen könnte:

  • Erwartungen an Mütter & Schwangere reflektieren:„Wir sollten unsere Erwartungen an Mütter hinterfragen und uns stattdessen mehr Gedanken darüber machen, was Schwangere und Mütter brauchen.“
  • Das Tabu Tod brechen: „Wir sollten uns ansehen: Wie gehen wir überhaupt mit den Themen Tod und Sterben um. Trauer und Tod sind in der Gesellschaft wenig sichtbar, daran können wir arbeiten.“
  • Mehr Zeit zum Trauern nehmen: „Das Wichtigste ist, dass wir uns mehr Zeit füreinander und für uns selbst nehmen. Trauern unter Zeitdruck ist eine Herausforderung, die schwer zu meistern ist.“

Unsere Quellen

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