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Autor/in
Sandra Herbsthofer
Sandra Herbsthofer

In vielen Städten gehören bettelnde Menschen zum Stadtbild. Trotzdem sind sie scheinbar oft unsichtbar – und kämpfen mit Vorurteilen. Wir haben uns drei Mythen übers Betteln angesehen – was wirklich stimmt, lest ihr hier!

Wie viele Menschen betteln in Deutschland?

Wie viele Menschen in Deutschland mit betteln ihren Lebensunterhalt bestreiten, darüber gibt es keine genauen Zahlen.

Laut einer Hochrechnung des Vereins BAG Wohnungslosenhilfe waren im Verlauf des Jahres 2022 in Deutschland 607.000 Menschen wohnungslos. Davon lebten ca. 50.000 ganz ohne Unterkunft auf der Straße – viele von ihnen dürften auf Spenden angewiesen sein.

Im Stadtbild deutscher Städte sind bettelnde Menschen längst zum festen Bestandteil geworden. Vielleicht seid ihr heute bereits an einer bettelnden Person vorbei gelaufen, habt möglicherweise eine Spende hinterlassen oder ihr eine Tasse Kaffee angeboten.

Oder vielleicht habt ihr eine Person am Straßenrand sitzen sehen und euch ist eine der drei Mythen in den Kopf gekommen, denen wir in diesem Artikel auf den Grund gehen.

  1. Sind Sachspenden besser als Geldspenden?
  2. Unterstütze ich mit Geld Konsumverhalten?
  3. Sind bettelnde Personen Teil einer „Bettelmafia“?

Mythos 1: Sachspenden sind besser als Geldspenden

Ganz grundsätzlich gilt: Bettelnde Personen befinden sich in der Regel in absoluten Notlagen und sind daher auf Spenden angewiesen.

Das bestätigt auch Joachim Krauß. Er ist Fachreferent und stellvertretender Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.

Klar ist, dass die Gruppe bettelnder Menschen eben keine Gruppe ist, die sich irgendwie konstituiert, sondern, das sind individuelle Schicksale, die sich dahinter verbergen. Dementsprechend sind die Gründe, warum jemand ja auf diese Strategie zurückgreifen muss ganz, ganz unterschiedlich.

Menschen, die in diesen Situationen leben, wissen meistens selbst am besten, was sie benötigen. Wenn ihr also helfen wollt und unsicher seid, fragt doch einfach, was die betroffene Person gerade braucht. Das empfiehlt auch die Caritas.

SWR3 Moderatorin Nicola Müntefering hat in SWR3 TALK mit Dominik Bloh gesprochen. Er ist Autor und hat früher für zehn Jahre auf der Straße gelebt. Den Zusammenschnitt des Interviews könnt ihr hier anhören:

Betteln: Geldspenden ermöglichen Autonomie

Auch wenn es nett gemeint ist, wenn ihr Kaffee oder Tee anbietet, möglicherweise hat die bettelnde Person heute schon den fünften Kaffee angeboten bekommen oder sie mag einfach keinen Kaffee und würde viel eher eine warme Decke benötigen.

Und selbst wenn es eine konkrete Sache gibt, die aktuell gebraucht wird, bedeutet eine Geldspende meist auch eines: Freiheit. Die Freiheit, über Kapital zu verfügen und selbstständig und selbstwirksam zu sein.

Klar ist, dass die Geldspende natürlich eine Autonomie ermöglicht. Die Person, die Geld bekommt, kann frei entscheiden, was sie mit diesem Geld tut, und wir reden ja auch nicht über immense Summen, sondern das sind ja wirklich kleinste Bedürfnisse oder auch Bedarfe, die gedeckt werden können. Das ist der Kernpunkt: Sich zu vergegenwärtigen, dass mit der Geldspende Autonomie gewährt wird in einem ganz engen Rahmen.

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Fazit: Insofern kann man nicht pauschal sagen, dass Sachspenden Geldspenden vorzuziehen sind.

💡 Wenn ihr euch trotzdem schwer damit tut, Geldspenden an bettelnde Menschen zu geben, könnt ihr eure Spende alternativ an Vereine oder andere Einrichtungen richten, die betroffene Menschen unterstützen. Die Mitarbeiter dort können eine professionelle Einschätzung abgeben, was benötigt wird.

Mythos 2: Mit Geldspenden unterstütze ich Konsumverhalten von bettelnden Menschen

Die Angst, dass man mit einer Geldspende Alkohol- oder Drogenmissbrauch von bettelnden Personen unterstützen würde, haben einige von euch vielleicht auch schon einmal gespürt oder im Kreis von Freunden oder Familie diskutiert.

Tatsächlich kann man nicht wissen, wofür das Geld, das gespendet wird, wirklich ausgegeben wird.

Die Lebensumstände mögen das mitunter vielleicht sogar begünstigen. Es wäre absurd, das in Abrede zu stellen.

Das Problem: Diese Unsicherheit füttert einen ganz bestimmten Stereotyp, der so selbstverständlich nicht auf alle bettelnden Menschen zutrifft – ganz nach dem Motto: Alle bettelnden Personen sind abhängig von Suchtmittel.

Betteln: Geldspende könnte Beschaffungsstress vorbeugen

Hier sind wir wieder beim Thema Autonomie und, dass die bettelnde Person selbst die Freiheit haben sollte, zu entscheiden, worin sie finanzielle Mittel investieren will – überspitzt formuliert: Das ist erstmal nicht die Entscheidung der Person, die spendet.

Man muss mit sich selbst klar machen: Möchte ich spenden? Und wenn ja: Kann ich das aushalten, dass die Personen, der ich etwas gegeben habe, darüber frei entscheidet, was sie damit tut?

Darüber hinaus gibt es noch eine andere traurige Realität: Ist die bettelnde Person tatsächlich abhängig von Suchtmittel, könnte das Ausbleiben von finanziellen Mitteln zu Beschaffungsstress führen. Darauf weist auch die Caritas hin.

Man kann nicht ausschließen, wohin eine Geldspende fließt. Aber sie ermöglicht es, das Gegenüber als vollwertiges und autonom entscheidendes Individuum anzuerkennen. Das muss man aushalten – oder man muss es lassen.

Fazit: Ob ihr mit einer Geldspende tatsächlich eine mögliche Alkohol- oder Drogensucht von bettelnden Menschen finanziert, lässt sich pauschal also weder widerlegen noch bestätigen. Vielleicht hilft es euch, stattdessen zu fragen: Wer sollte bestimmen können, was mit der Spende passiert?

Mythos 3: Bettelnde Personen sind Teil einer „Bettelmafia“

Vielleicht habt ihr schon mal von einer sogenannten „Bettelmafia“ gehört. Der Begriff legt nahe, dass es sich dabei um eine kriminelle Handlung handelt.

Wir haben bei der Polizei nachgefragt, ob es konkrete Zahlen zum Thema „organisiertes Betteln“ in Baden-Württemberg gibt und ob diese Form von betteln strafbar ist.

Eine statistische Erfassung von organisiertem Betteln in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfolgt nicht, da Betteln in seiner Grundform nicht strafbewehrt ist bzw. keinen eigenen Straftatbestand erfüllt. Ordnungswidrigkeiten werden in der PKS nicht erfasst.

Ist „organisiertes Betteln“ in Deutschland verboten?

„Organisiertes Betteln“ ist per se in Deutschland also nicht strafbar – „Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei“ allerdings schon. „Organisiertes Betteln“ sollte daher jedenfalls nicht mit „kriminellem Betteln“ gleichgesetzt werden.

Wird bei der Bettelei besonders aufdringlich vorgegangen und eine Person dadurch zu einer Gabe gedrängt, kann der Straftatbestand der Nötigung gemäß § 240 des Strafgesetzbuches (StGB) erfüllt sein. Bei bewusster Täuschung über einen Zustand, beispielsweise bei Vortäuschen einer Behinderung, kann ein Betrug i. S. d. § 263 StGB vorliegen.

Dass der Begriff „Bettelmafia“ irreführend ist, darauf weist Joachim Krauß hin:

Das Bild der Bettelmafia ist natürlich absolut falsch, weil bei der Mafia geht es darum, dass es eine Vernetzung in die politischen und in die Verwaltungsstrukturen gibt und in die politischen Machtstrukturen, in die oberste Ebene. Und man dann in der Lage ist, für sich Vorteile zu schaffen. Mit Betteln ist einfach kein wirklicher Reichtum zu erzielen.

Solltet ihr euch zu irgendeiner Zeit durch Bettelei bedroht, belästigt oder bedrängt fühlen, wendet euch am besten an die Polizei.

Fazit: „Organisierten Betteln“ ist per se in Deutschland nicht strafbar und sollte nicht mit „kriminellem Betteln“ gleichgesetzt werden. Darüber hinaus ist die Aussage, dass alle bettelnden Personen Teil einer „Bettelmafia“ seien, haltlos.

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