Ey, am Sonntag kommt der Tatort mit den meisten Toten in der Geschichte des Tatorts. Im Zeitalter nuschelnder Actionkommissare scheint die Zahl der Leichen zu einer Art Qualitätsmerkmal zu avancieren. Felix Murot ermittelt in diesem Rekordtatort, der einen sonderbaren Titel hat. Im Schmerz geboren heißt die Folge, in der es um einen alten Freund des Wiesbadener Kommissars geht. (Es handelt sich hierbei um eine Wiederholung!!)
47 Tote sind es offiziell, meine Strichliste sagt 54, habe ich da ein paar tote Zufallspassanten zu viel mit eingerechnet, oder mich einfach beim Zählen zu sehr ablenken lassen? Von tollen Schauspielern, einer abstrusen, packenden Geschichte, Wahnsinnsbildern, abgründigen Charakteren, monströser Musik oder irrsinnigen Einfällen?
Ballerspielatmo? Von wegen!
Diesen Tatort auf die Zahl der Toten zu reduzieren, das ist billig und ungerecht. „Im Schmerz geboren“ wird damit in die Nähe von Ballerspielen gerückt und wenn ihr sowas erwartet und mögt, schaut diesen Tatort lieber nicht. Er wird euch nicht gefallen. „Im Schmerz geboren“ ist für mich nämlich ein 90-minütiges Kunstwerk.
1. Akt. Auftritt: Das Böse
Lasst euch nicht irritieren vom theatralischen Eingangsmonolog, denn gleich danach befindet ihr euch mittendrin in einer realen Szene, die an den legendären Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ erinnert. Das Böse kommt auch hier mit dem Zug in die Stadt. Drei Männer sterben am Bahnhof, drei Brüder. Der Vater ist ein Verbrecher, Besitzer einer Werkstatt, Klassik- und Shakespeare-Fan und tief getroffen. Und er weiß auch, wer hinter dem Tod seiner Söhne steckt.
Perfekt besetzt
Richard Harloff heißt der Täter, auch wenn er nicht selbst geschossen hat. Er ist soeben mit seinem Sohn aus Bolivien zurückgekehrt, befindet sich auf einem Rachefeldzug und war vor langer Zeit mit Kommissar Murot befreundet. Mehr als befreundet. Die beiden hatten sich damals auf der Polizeischule sogar eine Frau geteilt. Dieser Harloff ist nun allerdings böse, skrupellos und irre. Ulrich Matthes spielt ihn. Besser hätte man das Böse nicht besetzen können.
Massentod mit Walzersound
Und dann kommt die Szene, in der es die meisten Toten gibt. Ein Gemetzel mit reichlich Theaterblut, unterlegt mit einem Walzer. Die Karikatur eines Computerballerspiels. All das aufzuzählen, was diesen Tatort so besonders macht, würde den Rahmen hier sprengen. Wurdet ihr schon einmal so in den Nach-Tatort-Sonntagabend entlassen? Mit Worten wie diesen? „Bevor ihr euch im Kreise eurer Lieben zum fröhlichen Gelächter eint, gedenkt für einen kurzen Augenblick, die Dauer eines Falters Flügelschlags, der Toten dieses Spiels.“
Tatort zum Nachdenken
„Puh!“ – tiefes Durchatmen war mein erster Kommentar nach diesem Tatort, nach 90 sehr intensiven Fernsehminuten, die immer noch skurriler werden, je länger ich drüber nachdenke. Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, bestimmt eine super Diskussionsgrundlage, für mich einfach grandios.