Das Landgericht Stuttgart hat den 53-Jährigen am Dienstag (19. Dezember) wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Außerdem stellte es die besondere Schwere der Schuld fest. Rechtlich wäre eine Haftentlassung nach 15 Jahren in diesem Fall möglich, praktisch aber so gut wie ausgeschlossen. Das Urteil, mit dem das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft folgte, ist noch nicht rechtskräftig.
Angeklagter übernahm Verantwortung für Schüsse
Zum Prozessbeginn am 9. November verlas der Anwalt des Angeklagten eine Stellungnahme seines Mandanten: Dieser bereue es sehr und wünsche sich, die Zeit zurückdrehen zu können. Darin übernahm der Angeklagte die Verantwortung für die Schüsse auf seine beiden türkischen Landsleute.
Der 53-Jährige habe sich von seinen beiden Vorgesetzten gemobbt und gedemütigt gefühlt. „Er hatte das Gefühl, dass er es ihnen nicht recht machen kann. Sein Arbeitsplatz war der seidene Faden, an dem sein ganzes Leben hing“, sagte sein Anwalt zum Prozessauftakt. Sein Mandant sei auf Probezeit bei einer Speditionsfirma gewesen. An jenem Morgen sei ihm in der Produktionshalle mit einer Kündigung gedroht worden.
Angeklagter: Jobverlust hätte Ausreise in die Türkei bedeutet
Der 1970 geborene Türke besitze nur eine Fiktionsbescheinigung, weil sein Reisepass wegen regierungskritischer Äußerungen vom türkischen Konsulat nicht verlängert worden sei. Eine Aufenthaltserlaubnis habe er nicht. Hätte er seinen Job verloren, hätte er seine hier von ihm getrennt lebende Familie verlassen und zurück in die Türkei ziehen müssen. Dort, so die Befürchtung des Angeklagten, hätte ihm wegen seiner Gesinnung die Verhaftung gedroht – und „darüber hinausgehende Repressalien möglicherweise bis hin zu seiner Ermordung“.
Im Gegensatz zu ihm seien seine beiden Vorgesetzten „regierungstreu“ gewesen. Eine politisch motivierte Tat seien die Schüsse aber keineswegs gewesen, sondern „ein Ausdruck tiefer Verzweiflung in hoher affektiver Erregung“, ließ sein Anwalt wissen.
Nach Überzeugung des Richters entsprach das aber „in keiner Weise der Realität“. Für die beiden arglosen Opfer völlig überraschend habe der Mann „in absolutem Vernichtungswillen“ zur Waffe gegriffen und insgesamt acht Mal abgedrückt.
Schüsse bei Mercedes in Sindelfingen: Das ist passiert
Am 11. Mai soll es zu einem Streit über das Aufladen eines Elektrowagens gekommen sein, der dann völlig eskalierte. In einer Produktionshalle habe der Angeklagte seine zwei 44 und 45 Jahre alt gewordenen Vorgesetzten „absichtlich“ und „heimtückisch“ aus wenigen Dutzend Zentimetern Entfernung erschossen, befand die Staatsanwaltschaft. Einer war sofort tot, der andere starb wenig später im Krankenhaus. Alle drei Beteiligten waren bei der Logistikfirma Rhenus beschäftigt.
Tatverdächtiger hatte keinen Waffenschein
Der Werkschutz griff nach den Schüssen ein und der mutmaßliche Schütze ließ sich ohne Widerstand festhalten, bis die Polizei ankam. Bei der Tatwaffe handelte es sich um eine Pistole. Der Tatverdächtige besitze keine waffenrechtliche Erlaubnis und dürfe die Pistole daher illegal besessen haben, so die Staatsanwaltschaft. Laut eigener Aussage trug der Angeklagte immer eine Waffe bei sich, da er wegen seiner politischen Gesinnung in der Vergangenheit mit dem Tod bedroht worden sei.
Mercedes-Benz zeigte sich „zutiefst bestürzt und geschockt“ über die Tat. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und allen Kolleginnen und Kollegen vor Ort“, hieß es in einem Tweet des Konzerns.
Im Sindelfinger Werk von Mercedes-Benz arbeiten etwa 35.000 Menschen. Dort rollen neben der E-Klasse auch die S-Klasse sowie deren elektrisches Pendant EQS vom Band.
Hier gibt es das SWR Extra vom Tag der Tat: