AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer sollen sich im November 2023 in einer Potsdamer Villa getroffen haben, um die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland zu besprechen. Dies zeigt ein Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv.
Laut Correctiv soll bei dem Treffen eine Art Masterplan diskutiert worden sein, wie eine solche Ausweisung von Migranten umgesetzt werden könnte. Dabei soll es um einen Plan des als rechtsextrem eingestuften Martin Sellner für eine sogenannte „Remigration“ gegangen sein.
Die Stadt Potsdam hat ein Einreiseverbotsverfahren gegen Sellner – den früheren Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich – eingeleitet. Sellner schrieb am Sonntag, dass er gegen ein Einreiseverbot nach Deutschland juristisch vorgehen wolle.
„Remigrations“-Plan der Rechten: Darum geht es in dem Correctiv-Bericht
- Das war laut Correctiv-Recherche geplant: Ausländer und unliebsame Deutsche sollen rausgeworfen werden
- Politiker und Unternehmer: Wer an dem Treffen teilgenommen hat
- So reagiert die AfD
- Verfassungsschutzchef: Deutschlands Mitte ist gleichgültig und bequem
- Scholz zu Correctiv-Recherche: „Fall für den Verfassungsschutz“
- Recherche befeuert Diskussion über AfD-Verbot
Das berichtet Correctiv: Ausländer und unliebsame Deutsche sollen rausgeworfen werden
Ergebnis der Correctiv-Recherche: Beim Treffen in Potsdam sei besprochen worden, dass mit neuen Gesetzen Geflüchtete und Eingewanderte ausgewiesen werden sollten. Das sei „ein Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, sollte die AfD in Deutschland an die Macht kommen“, ordnet Correctiv die Ergebnisse ein.
Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels sagt dazu im ARD-Interview (siehe auch im Video bei Sekunde 23):
Das Recherchenetzwerk selbst beruft sich auf Dokumente und Teilnehmeraussagen. Hier der Post von Correctiv:
Correctiv: Persönlicher Referent von AfD-Chefin Weidel war auch dabei
Anwesend waren demnach bei dem Treffen von Seiten der AfD unter anderem der persönliche Referent von Parteichefin Alice Weidel, Roland Hartwig, die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy und der Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund. Ebenfalls vertreten waren demnach unter anderem zwei Mitglieder der rechtskonservativen Werteunion Nordrhein-Westfalens und ein ehemaliges Kuratoriumsmitglied der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Auch Ulrich Vosgerau war dabei. Er berät als Sachverständiger den NRW-Landtag – auf Vorschlag der NRW-AfD. Der Rechtsanwalt ist nach eigenen Angaben CDU-Mitglied.
Martin Sellner, langjähriger Sprecher der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ Österreichs, soll den Plan vorgestellt haben. Zu dem Treffen eingeladen hatten der ehemalige Mitbesitzer der Bäckereikette „Backwerk“ und der Burgerkette „Hans im Glück“, Hans Christian Limmer, sowie der Rechtsextremist Gernot Mörig. „Hans im Glück“ soll sich deswegen von Limmer getrennt haben.
AfD: Hartwig hat „lediglich auf Einladung ein Social-Media-Projekt vorgestellt“
Die AfD reagierte umgehend auf die Veröffentlichung des Correctiv-Berichts und die Teilnahme des persönlichen Referenten Weidels. Hartwig habe bei dem Treffen „lediglich auf Einladung ein Social-Media-Projekt vorgestellt“, teilte die Partei am Mittwoch mit.
Er habe dort weder politische Strategien erarbeitet noch die Ideen Sellners zur Migrationspolitik „in die Partei getragen“. Von diesen Ideen habe er zudem im Vorfeld „keine Kenntnis“ gehabt. Die AfD wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall bewertet und beobachtet.
Ein Parteisprecher ergänzte: „Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen ist, nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war, abändern.“
Geheimdienstchef: Schweigende Mehrheit ist zu gleichgültig
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz glaubt, dass viele Deutsche Bedrohungen für die Demokratie nicht ernst genug nehmen. Die Demokratie in Deutschland sei stärker bedroht, als es von der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen werde, sagte Thomas Haldenwang dem ARD-Politikmagazin Kontraste.
Dies zeige sich an einer Gleichgültigkeit „gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien“, aber auch am Umgang mit Antisemitismus. Die Mitte der Gesellschaft in Deutschland scheine ihm sehr bequem geworden zu sein. Man habe sich sehr im komfortablen Privatleben eingerichtet und nehme „nicht hinreichend wahr, wie ernsthaft die Bedrohungen für unsere Demokratie inzwischen geworden sind“.
Er wünsche sich, dass die „schweigende Mehrheit“ wach werde „und auch endlich klar Position bezieht gegen Extremismus in Deutschland“. Er wies darauf hin, dass Sicherheitsbehörden nur bedingt gegen die Gefahren für die Demokratie vorgehen könnten.
Scholz reagiert auf Vertreibungsplan: „Wir schützen alle“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte den Schutz aller Menschen durch das Grundgesetz. „Wir lassen nicht zu, dass jemand das ‚Wir‘ in unserem Land danach unterscheidet, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht“, erklärte Scholz am Donnerstag auf der Internetplattform X, vormals Twitter.
Wer sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richte, sei „ein Fall für unseren Verfassungsschutz und die Justiz“, erklärte Scholz: „Dass wir aus der Geschichte lernen, das ist kein bloßes Lippenbekenntnis.“ Demokratinnen und Demokraten müssten zusammenstehen.
Recherche befeuert Diskussion über AfD-Verbot
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warf der AfD in der Stuttgarter Zeitung „totalitäre Absichten“ vor. Mit diesen müssten sich nun die Sicherheitsbehörden scharf auseinandersetzen. Die Forderungen nach einer „Umvolkung“ seien „ganz klar verfassungswidrig“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Fall zeige, „worauf wir schon lange verweisen: Die AfD versteckt unter dem Mantel der Bürgerlichkeit tiefe braune Abgründe“.
Die Ergebnisse der Recherche haben parteiübergreifend für Empörung gesorgt und die Diskussionen um ein AfD-Verbot vorangetrieben. Befürworter gibt es in fast allen demokratischen Parteien, allerdings nicht durchgängig.
In der SPD ist Parteichefin Saskia Esken eher dafür, der Ostbeauftragte Carsten Schneider dagegen. In der CDU plädiert der Sachse Marco Wanderwitz für ein Verbot, der Parteichef Friedrich Merz nicht. Auch der CDU- Politiker Roderich Kiesewetter hält es für möglich, dass die AfD verboten wird. Hier eine Reaktion von FDP-Politiker Christian Dürr:
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels haben wir missverständliche Formulierungen über den Inhalt der Gespräche beim Treffen in Potsdam verwendet. Konkret waren dies Formulierungen im Zusammenhang mit der Correctiv-Einordnung über Konsequenzen, die eine mögliche AfD-Regierung haben könnte, sowie die laut Correctiv-Recherche in Potsdam besprochenen Pläne zum Umgang mit „unliebsamen Deutschen“. Wir haben die entsprechenden Passagen präzisiert.