Nach Bekanntwerden von Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 erhärtet sich der Verdacht, dass es Sabotage war.
Einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse haben wir für euch hier zusammengetragen:
- Was bisher geschehen ist
- Welche Folgen die Lecks fürs Klima haben
- Wo die Gaslecks sind
- Aufklärung beginnt mit deutscher Unterstützung
- Könnte Russland der Schuldige sein?
- Streit um Gas-Pipeline Nord Stream 2
- Was haben die USA damit zu tun?
- Wie die EU sich schützen will
Man könne nun bestätigen, dass es in schwedischen Gewässern Detonationen gegeben habe, die zu erheblichen Schäden an den Pipelines geführt hätten, teilten die Strafverfolgungsbehörde und der schwedische Sicherheitsdienst am Donnerstag (6. Oktober) in Stockholm mit. Seismologische Institute in Skandinavien hatten eine Stärke von 2,3 und 2,1 gemessen, was den Organisationen zufolge „vermutlich einer Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm“ entspreche.
Politiker gingen schon früh von Sabotage aus
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte bereits am Dienstag (27. September), es sei sicher, dass die Lecks „nicht durch natürliche Vorkommnisse oder Ereignisse oder Materialermüdung entstanden sind, sondern dass es wirklich Attacken auf die Infrastruktur gegeben hat“. Über mögliche Verantwortliche machte er dabei keine Angaben.
Damit ähnelten Habecks Aussagen denen mehrerer anderer Spitzenpolitiker wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Sie schrieb auf Twitter von einer „Sabotageaktion", ohne Schuldige zu nennen. EU-Ratspräsident Charles Michel äußerte sich ähnlich, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte zusätzlich „Gegenmaßnahmen“ der EU an. Gegen wen sich diese konkret richten sollen – unklar.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hält es prinzipiell für möglich, dass auch in Deutschland ermittelt wird. Eine „verfassungsfeindliche Sabotage“ schließt er vorerst nicht aus, sagte Buschmann der Bild am Sonntag. Die Explosionsorte befinden sich in der Ostsee, die Röhren führen aber von Russland nach Deutschland.
Nord-Stream-Pipelines: Das ist geschehen
Aus den Pipelines Nord Stream 1 und 2, die von Russland nach Deutschland führen, trat etwa seit Montag (26. September) Gas aus. Zunächst hatte man drei Lecks gefunden, die schwedische Küstenwache hat wenig später aber noch ein viertes entdeckt. Zwei lägen in dänischen und zwei in schwedischen Gewässern, sagte ein Verantwortlicher gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Aktuell wird durch keine der Pipelines Gas geliefert. Denn seit dem russischen Stopp der Lieferungen Anfang September fließt kein Gas mehr durch Nord Stream 1 nach Deutschland. Die besonders umstrittene Pipeline Nord Stream 2 wurde wiederum nie in Betrieb genommen. Trotzdem waren die Leitungen mit Gas gefüllt.
Umweltbundesamt: erhebliche Klimaschäden durch Lecks
Die Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 führen nach Berechnungen des Umweltbundesamtes zu erheblichen Klimaschäden. Sämtliches darin enthaltenes Erdgas entweiche in die Atmosphäre. Der Klimaschaden entspreche etwa einem Hundertstel der gesamten deutschen Emissionen eines Jahres. SWR-Umweltredakteur Werner Eckert berichtet:
Nach Berechnungen der dänischen Energiebehörde entspricht die Klimabelastung des Gasaustritts etwa einem Drittel der gesamten Klimabelastung Dänemarks in einem Jahr. Ein konkretes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung bestehe aber nicht, hieß es.
Deutsche Umweltschützer sind wegen der Lecks besorgt, ihre Kollegen in Schweden befürchten für die Umwelt insgesamt keine besonders großen Folgen, berichtet ARD-Korrespondent Christian Blenker in Stockholm. Wegen der Gefahr für Schiffe an den Austrittsstellen und zur Tatortsicherung hatten schwedische Behörden dort eine Sperrzone verhängt, die sie inzwischen (6. Oktober) aber wieder aufgehoben haben.
Gaslecks bei der Insel Bornholm
Die Lecks befinden sich in dänischen und schwedischen Hoheitsgewässern in der Nähe der dänischen Insel Bornholm. Die Marine des Landes hatte Aufnahmen veröffentlicht, auf denen eine großflächige Blasenbildung an der Meeresoberfläche zu sehen ist. Dänemarks Regierung spricht von „absichtlichen Taten“. Innerhalb kurzer Zeit seien mehrere Explosionen beobachtet worden, so Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Wer dahinterstecke, wisse man aber noch nicht.
An den auf der Karte markierten Stellen rund um die dänische Insel Bornholm sollen die entdeckten Lecks der Pipelines liegen:
Deutsche Marine beteiligt sich an Aufklärung der Lecks
Die Lecks an den Pipelines konnten nicht sofort untersucht werden. Als Grund nannte Dänemarks Verteidigungsminister Morten Bodskov den Druck und die Menge des Gases, die an den beschädigten Rohren austreten.
Die Deutsche Marine beteiligt sich an der Aufklärung der Lecks. Das sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in Berlin nach Gesprächen mit ihrem dänischen Amtskollegen. Der Vorfall führe vor Augen, dass Deutschland auf kritische Infrastruktur angewiesen sei, auch unter Wasser – und wie wichtig eine starke Marine für die Sicherheit des Landes und seiner Verbündeten sei.
Deutsche Experten: Das kann nur ein Staat gewesen sein
Die Deutsche Presse-Agentur berichtet, auch aus Sicht von deutschen Sicherheitsexperten spreche vieles für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des Aufwands nur ein „staatlicher Akteur“ infrage kommen, zitiert die Agentur die anonymen Experten. Das bedeutet offenbar, dass sie eine unabhängig handelnde Terrorgruppe als mögliche Täter ausschließen.
„Es ist eine Operation, die ziemlich viel Sachverstand, Expertise und Vorbereitung gehabt hat“, sagte Terrorexperte Peter Neumann am Mittwoch in den Tagesthemen. Auch er geht von einem Staat als Urheber aus.
Deutsche Sicherheitsbehörden gehen nach Angaben des Spiegel davon aus, dass bei der Beschädigung der Pipelines hochwirksame Sprengsätze zum Einsatz kamen. Berechnungen hätten ergeben, dass für die Zerstörung der Röhren Sprengsätze eingesetzt worden sein müssen, deren Wirkung mit der von 500 Kilogramm TNT vergleichbar sei, berichtete das Magazin.
Ist Russland schuld an Lecks in Nord-Stream-Pipelines?
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), Russland habe die beiden Pipelines bereits in der Vergangenheit als Werkzeug und Energie als Waffe gegen Deutschland eingesetzt. „Deshalb würde ein solcher Sabotageakt auch zu der von Staatsterrorismus geprägten und hybriden Vorgehensweise Russlands passen.“ Im ARD-Morgenmagazin bekräftigte Kiesewetter seine Vermutung:
FDP-Verteidigungsexpertin zeigt nach Moskau
Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, vermutet Russland hinter dem Sabotageakt. Je länger der Ukrainekrieg dauere, „desto größer ist auch die Gefahr, dass es zu solch enthemmten Anschlägen kommt“, sagte Strack-Zimmermann dem RND. „Nicht ausgeschlossen ist, dass sie von Russland gelenkt werden, um unsere Märkte zu erschüttern.“
SWR3-Aktuell-Redakteurin Steffi Lingscheidt über die Sabotage-Vermutungen bei den Gaslecks:
Russland spricht von „Terrorakt“
Russland weist Vermutungen zurück, die Regierung in Moskau sei für eine Sabotage an den Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee verantwortlich. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, Vorwürfe wegen der Leckagen an Russland seien „vorhersehbar“ und „dumm“. Der an Pipelines entstandene Schaden verursache Russland hohe wirtschaftliche Verluste, sagte er in einer Pressekonferenz am Mittwoch (28. September). Die Leitungen seien mit Gas gefüllt gewesen. Alle Systeme seien betriebsbereit gewesen „und Gas ist sehr teuer“. Russland erwarte, dass in einer Untersuchung geklärt wird, was mit den Pipelines passiert sei. Der russische Energiekonzern Gazprom werde als Besitzer der Leitungen an der Untersuchung teilnehmen.
Nachdem Peskow bereits von einem „Terrorakt“ gesprochen hatte, bezeichnete auch der russische Präsident Wladimir Putin die Lecks am Donnerstag als einen „Akt des internationalen Terrorismus“. Nach Kreml-Angaben sprach Putin bei einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan von einer „beispiellosen Sabotage“ gegen die Gasleitungen von Russland nach Deutschland. Putin sagte außerdem, dass Russland dazu für diesen Freitag eine Dringlichkeitsdebatte im UN-Sicherheitsrat beantragt habe.
Die russische Generalstaatsanwaltschaft hatte wegen der mutmaßlichen Sabotage an den Pipelines am Mittwoch ein Verfahren wegen internationalen Terrorismus eingeleitet.
Gas-Pipeline Nord Stream 2 umstritten
Kritiker hatten schon lange davor gewarnt, die Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland fertigzustellen. Dazu gehörten die USA, deren damaliger Präsident Donald Trump sogar mit Sanktionen gedroht hatte, aber auch zahlreiche osteuropäische Länder wie Polen, das Baltikum oder das bisherige Haupttransitland für russisches Gas, die Ukraine. Sie fürchteten bereits vor dem Ukrainekrieg, dass ihre Verhandlungsposition geschwächt sei, sobald Russland die Möglichkeit habe, Erdgas an ihnen vorbei nach Westeuropa zu leiten.
Trotzdem waren vor dem Überfall Russlands auf das Nachbarland die meisten Menschen in Deutschland dafür, die Pipeline notfalls auch gegen den Widerstand der USA zu Ende zu bauen. Im Mai 2021 sprachen sich bei einer repräsentativen Forsa-Umfrage drei Viertel von ihnen dafür aus. Nach Ausbruch des Krieges änderten viele ihre Meinung.
Twitter-User geben den USA die Schuld
Während mehrere Politiker und Experten Russland als den Verantwortlichen für die Gaslecks betrachten, beschuldigen zahlreiche Twitter-User die USA, darunter der AfD-Politiker Gunnar Lindemann. Als Beleg dafür berufen sie sich darauf, die US-Marine sei in letzter Zeit in der Nähe des Lecks bei der Insel Bornholm gewesen. Hintergrund ist, dass sowohl Kriegsschiffe der NATO als auch von Russland seit Jahrzehnten immer wieder Übungsmanöver in der Ostsee abhalten. „Normalerweise gehört der Juni der NATO und der September den Russen“, hatte Johannes Peters vom Institut für Sicherheitspolitik an der Kieler Uni im Juni dem Norddeutschen Rundfunk die traditionellen Ostsee-Manöver erklärt. Wegen des Ukrainekriegs sei der etablierte Rhythmus in diesem Jahres aber anders gewesen.
Auch die Sprecherin des russischen Außenministeriums hat angedeutet, US-Präsident Joe Biden könnte eine Sabotage der Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 angeordnet haben. Maria Sacharowa verwies dabei auf Äußerungen Bidens im Februar bei einem Washington-Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Biden hatte mehrere Wochen vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gewarnt, sollte Russland im Nachbarland einmarschieren, „dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben“. Das „verspreche“ er, betonte der Präsident, ohne nähere Angaben zu machen. „Wir werden dem ein Ende bereiten.“
Die USA haben die Andeutungen Russlands als „lächerlich“ zurückgewiesen: „Wir alle wissen, dass Russland eine lange Geschichte der Verbreitung von Falschinformationen hat, und es tut es hier jetzt wieder“, sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, Adrienne Watson, am Mittwoch.
EU-Innenkommissarin kündigt Belastungstests an
Die EU-Kommission will alle kritische Infrastruktur in Europa einem Belastungstest unterziehen. Das hat EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im ZDF angekündigt. Man werde sich jetzt an alle Mitgliedstaaten wenden, einen solchen Test durchzuführen. Der Vorfall an den Pipelines stelle eine Eskalation und eine Bedrohung dar. Johansson sagte weiter, man habe einen Verdacht, könne das aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen.
Länder verstärken Schutz ihrer Energie-Infrastruktur
Das im Bau befindliche erste deutsche schwimmende Importterminal für Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven wird 24 Stunden von der Polizei überwacht. Nach einem Bericht des Spiegel (7. Oktober) sei dies eine Folge der mutmaßlichen Sabotage an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2. Schon vorher sei das Gelände regelmäßig überwacht worden, allerdings nicht rund um die Uhr, sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Die Überwachung erfolge sowohl vom Land, als auch in Zusammenarbeit mit der Wasserschutzpolizei vom Wasser aus.
Auch Norwegen verstärkt den Schutz seiner Öl- und Gasinfrastruktur. Regierungschef Jonas Gahr Støre sagte am Mittwoch (28. September), zwar gebe es keine konkrete Bedrohung. Oslo sei sich aber seiner Verantwortung als Europas größter Gaslieferant bewusst. Im September seien über dem norwegischen Festlandsockel mehr Drohnen als sonst beobachtet worden. In dieser Region vor der Küste befinden sich die Förderanlagen des Landes.