Es gibt drei große Namen, die als „Väter der deutschen Einheit“ gelten: Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, Ex-US-Präsident Ronald Reagan und Ex-Sowjet-Präsident Michail Gorbatschow. Am Dienstag ist Gorbatschow als letzter von ihnen im Alter von 91 Jahren gestorben. Grund war eine lange, schwere Krankheit.
Abschied von Gorbatschow ohne Pomp und ohne Putin
Gorbatschow wurde am Samstag in Moskau beigesetzt. Der Sarg wurde unter den Klängen der russischen Nationalhymne und mit Salutschüssen ins Grab gelassen. Der Ex-Präsident wurde neben seiner Frau Raissa auf dem Prominentenfriedhof am Neujungfrauenkloster beerdigt.
Zuvor hatten Tausende Menschen Gorbatschow die letzte Ehre erwiesen und Blumen an seinem offenen Sarg im Haus der Gewerkschaften nahe des Kremls niedergelegt. Einige der Trauernden sprachen darüber, dass die Offenheit, für die Gorbatschow eintrat, unter dem jetzigen Präsidenten Wladimir Putin beendet wurde. „Ich möchte ihm für meine Kindheit in Freiheit danken, die wir heute nicht mehr haben“, sagte ein Mann Anfang 30.
Der ehemalige Präsident und stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, nahm an der Trauerfeier teil. Als einziger hoher ausländischer Vertreter war Ungarns Regierungschef Viktor Orbán vor Ort. Deutschland, die USA und Großbritannien ließen sich durch ihre Botschafter vertreten. Präsident Putin nahm mit dem Verweis auf eine Dienstreise nicht teil; es wird auch kein Staatsbegräbnis für Gorbatschow geben. Ein junger Mann sagte dem ARD-Studio Moskau, von der Abschiedszeremonie hätte er nichts mitbekommen, wenn er sich nicht selbst darüber informiert hätte. Einige vermuten, dass der russische Staat die Trauerfeier aus Absicht klein gehalten habe.
ARD-Russland-Korrespondentin Martha Wilczynski berichtet aus Moskau:
Die Trauerprozession auf dem Friedhof wurde von Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow angeführt, dem Chefredakteur der Kreml-kritischen Zeitung Nowaja Gaseta, die ihr Erscheinen im März einstellte. Gorbatschow hatte der Zeitung mit Geld von seinem eigenen Friedensnobelpreis finanzielle Starthilfe gegeben.
In Deutschland wehten viele Flaggen auf halbmast, unter anderem an den obersten Landesbehörden in Rheinland-Pfalz und vor dem Kanzleramt in Berlin. Der Bundestag will am Mittwoch im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an Gorbatschow erinnern.
Gorbatschow kritisierte Putin
Putins und Gorbatschows Amtszeiten werden nur durch die Zeit getrennt, in der Boris Jelzin von 1991 bis 1999 Präsident der Russischen Föderation war. Gorbatschow habe Putin immer wieder für „dessen zunehmend autoritären Nationalismus kritisiert“, hat der Ex-Europapolitiker Elmar Brok (CDU) der Neuen Westfälischen gesagt.
Gorbatschow unter Nationalisten verhasst
Während viele Politiker im Westen nach der Meldung über Gorbatschows Tod dessen Verdienste würdigten, fielen die Reaktionen in Russland gemischt aus. Viele Politiker dort machen den ehemaligen Staatschef für den Zerfall der Sowjetunion verantwortlich – und damit für den Verlust der Moskauer Macht über zahlreiche Regionen,unter anderem Osteuropa, die seit Anfang der 1990er aus eigenständigen Staaten bestehen. Denn Gorbatschows Reformen leiteten das Ende der sogenannten UdSSR ein.
Gorbatschow küsst Honecker
Ein berühmtes Foto zeigt ihn 1989 mit dem damaligen DDR-Staatschef Erich Honecker beim sogenannten „Bruderkuss“. Aufgenommen wurde die Szene beim 40-jährigen Jubiläum der Deutschen Demokratischen Republik am 6. Oktober 1989. Nur wenige Wochen nach diesem symbolträchtigen Foto war die DDR Geschichte.

Friedensnobelpreis für Gorbatschow
1990 erhielt Gorbatschow für die mutigen Reformen den Friedensnobelpreis und wurde somit im Ausland dafür gewürdigt. Im Inland sorgten sie allerdings kurz darauf für den Zerfall der zuvor unendlich großen Sowjetunion, abgekürzt UdSSR. Gorbatschow führte die Sowjetunion als deren letzter Präsident in den Jahren 1985 bis 1991.
Das tat Gorbatschow zuletzt
Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich mit seiner eigenen politischen Stiftung in Moskau für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen bemüht. Als Miteigentümer einer kremlkritischen Zeitung deckte er immer wieder Missstände in Russland auf. In den vergangenen Jahren forderte Gorbatschow den Kremlchef Wladimir Putin auf, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht mehr einzuschränken.
Kreml und russische Regierungskritiker würdigen Gorbatschow
Michail Gorbatschow sei ein Politiker und Staatsmann gewesen, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt habe, heißt es in einem am Mittwoch vom Kreml veröffentlichten, kurz gehaltenen Beileidstelegramm an die Angehörigen. Er habe versucht, seine Lösungen für die russischen Probleme anzubieten. Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion immer wieder als Katastrophe bezeichnet.
Der russische Journalist und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow hat Gorbatschow als Mann des Friedens gewürdigt. Dem Ex-Präsidenten der Sowjetunion seien Menschenrechte wichtiger als die Belange des Staates gewesen, er habe einen „friedvollen Himmel mehr geschätzt als persönliche Macht“, schrieb der Chefredakteur der unabhängigen russischen Tageszeitung Nowaja Gaseta in einer am Mittwoch auf deren Website veröffentlichen Würdigung. Gorbatschow habe Krieg „verabscheut“, schrieb Muratow weiter. Der Ex-Sowjet-Präsident war 31 Jahre vor Muratow 1990 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden.
Auch der inhaftierte russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny zollte dem verstorbenen Politiker Respekt, insbesondere für seinen „friedlichen Abschied von der Macht“. „Er ist friedlich und freiwillig zurückgetreten und hat den Willen seiner Wähler respektiert“, schrieb der Kremlkritiker am Dienstag auf Twitter über Gorbatschow. Das allein sei nach den Maßstäben der ehemaligen Sowjetunion „eine große Leistung“.
Deutsche Politiker würdigen Gorbatschows Erbe
Für viele Politiker in Deutschland ist klar: Mit Gorbatschow ist einer der letzten ganz großen Politiker von der Weltbühne abgetreten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte ihn als mutigen Reformer und weitsichtigen Politiker und Staatsmann. „Wir Deutsche haben ihm unendlich viel zu verdanken – denn seine Politik der Perestroika hat die Grundlage dafür gelegt, den kalten Krieg zu überwinden, Grenzbäume wegzuräumen und Europa und Deutschland wieder zu vereinen“, schrieb Scholz auf Twitter.
Der Bundeskanzler wollte am Mittwoch nicht sagen, ob er an einer Trauerfeier für den letzten sowjetischen Staatschef teilnehmen würde. „Ich glaube, das ist jetzt nicht der Ort oder der Zeitpunkt, um über Reisen zu reden“, sagte Scholz auf eine entsprechende Frage zum Abschluss der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. „Ich hoffe, dass der russische Staat seinem früheren Staats- und Regierungschef die Ehre erweist, die ihm gebührt.“ Inzwischen ist eine Teilnahme an der Beerdigung ausgeschlossen: Es gebe keine Einladung, insofern stelle sich die Frage nicht, sagte Scholz der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (Freitag).
Die rheinland-pfälzische SPD-Chefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler bezeichnete Gorbatschow als „Jahrhundertpolitiker“, der Wegbereiter für die deutsche Einheit gewesen sei.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) schrieb auf Twitter, ohne Gorbatschow sei der „friedliche Fall des eisernen Vorhangs kaum denkbar“ gewesen.
CSU-Chef und Bayern-Ministerpräsident Markus Söder schrieb auf Twitter, Deutschland habe Gorbatschow viel zu verdanken.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schrieb auf Twitter, dass gerade die Menschen in Deutschland Gorbatschow viel Gutes zu verdanken hätten: „Sein Tod bedrückt.“
Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) schrieb auf Twitter, dass ein einzelner Mensch die Welt verändern könne: „Keine Gewalt, keine Panzer, Abzug von 350.000 sowjetischen Soldaten aus Deutschland. Freiheit für Millionen in Mittel-Osteuropa. Deutsche Einheit. Undenkbar ohne Michail Gorbatschow.“
Politiker aus der ganzen Welt kondolieren
US-Präsident Joe Biden kondolierte Gorbatschows Familie und Freunden und sagte: „Michail Gorbatschow war ein Mann mit einer bemerkenswerten Vision.“ Er habe sich in der Sowjetunion nach Jahrzehnten brutaler politischer Unterdrückung für demokratische Reformen eingesetzt.
„Dies waren die Taten einer außerordentlichen Führungspersönlichkeit – einer, die die Vorstellungskraft besaß, eine andere Zukunft für möglich zu halten, und den Mut hatte, ihre gesamte Karriere zu riskieren, um dies zu erreichen. Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen.“
Von der Leyen: Gorbatschow sorgte für ein freies Europa
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Bedeutung Gorbatschows für Europa heraus. „Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs“, schrieb von der Leyen auf Twitter. Sie bezeichnete Gorbatschow als Führungspersönlichkeit, die zuverlässig und geachtet gewesen sei. „Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen.“
Johnson voller Bewunderung für Gorbatschow
Der britische Premierminister Boris Johnson würdigte das historische Erbe Gorbatschows. „Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte“, schrieb Johnson auf Twitter.
Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte Gorbatschow als „Mann des Friedens“. Seine Entscheidung habe den Russen „einen Weg der Freiheit“ geöffnet, schrieb Macron auf Twitter. „Sein Engagement für den Frieden in Europa hat unsere gemeinsame Geschichte verändert.“