Verbrechen mit Kindern und Jugendlichen – das ist der Albtraum jedes Tatort-Kommissars, auch von Mutter Charlotte Lindholm. Dieses Mal kam noch ein zweiter Albtraum dazu, auch für die Zuschauer.
Irgendwo, mitten in Göttingen: Eine Schülerin schwitzt, ist abwechselnd rot und bleich im Gesicht, alles tut ihr weh. Sie quält sich quer durch die Stadt, sie läuft ihrem drohenden Zusammenbruch davon. Wenig später bringt sie in einer ekligen Umkleidekabine eines Sportplatzes ein Baby zur Welt. Es ist eine dreckige, düstere, hoffnungslose Umgebung mit blutigen Satanismus-Zeichen an der Wand. Hier geht es bei Mutter und Kind um Leben und Tod. Ihr letzter Hilferuf geht an ihren Halbbruder. „Ich sterbe hier und jetzt“, schreit sie ihm auf die Mailbox, danach bleibt sie verschwunden.
Ermitteln muss Charlotte Lindholm alias Maria Furtwängler. Sie wurde gerade strafversetzt vom LKA Hannover, hierher nach Göttingen. Bleiben will sie nicht, denn zu Hause, weit weg, sitzt ihr Sohn. Auch diese Situation – ein Alptraum. Die Strafversetzung hält sie für null und nichtig und macht den Kollegen gleich mal in einer Ansprache klar, wie sie so drauf ist: Teamwork is nich und die meisten anderen Ermittler sind sowieso alle schludrige inkompetente Waschlappen. „Keine Angst, in zwei Wochen bin ich wieder weg!“
Abgründe in einer scheinbar ganz normalen Schule
Das ist doch mal eine Ansage, trotzdem muss ja ermittelt werden. Nirgends ist das Baby oder die Mutter zu finden. Die Umkleidekabine klebt voller Blut und Käseschmiere. Der Abgrund, in den wir hier blicken, ist tief.
Schnell ist klar: Gesucht wird Julia, 15 Jahre alt. Eine ganz normale Schülerin auf einer scheinbar ganz normalen Göttinger Schule, wo es Gruftis, Müslis und Satanisten gibt. Multikulti at its best, friedlich nebeneinander. Und zu Hause wartet der Papa, streng gläubig. Schwangerschaft kommt nicht im Traum in Frage, schon gar nicht Opa sein.
Alles scheint in diesem Tatort möglich, in dem Charlotte Lindholm als Mutter von diesem Fall ordentlich angefasst und zwischendurch von ihrer neuen Kollegin Anaïs geohrfeigt wird. Überhaupt Anaïs: Eine schwarze Vollblut-Macho-Frau, schlägt gerne mal zu, einfach so. Sie ist nicht die einzig verrückte Kollegin hier, in Lindholms neuer Stadt Göttingen, das wird schnell klar.
Trotz Klischees: turbulent, unterhaltend und recht witzig
Das ist alles ganz schön turbulent in diesem Tatort – und das ist ganz recht so. Endlich wieder mal ein Krimi, in dem die beiden Kriegsschauplätze „Kriminalfall“ und „soziale Abgründe beim Ermittlerteam“ spannend und unterhaltend daherkommen. Alle Figuren sind top gespielt. Sehr kraftvoll, wütend, unkontrolliert und ausgebrannt bringt sich Anaïs gegen die blonde Furtwänglerin in Stellung, gespielt von Florence Kasumba (bekannt auch aus dem Marvel-Film Black Panther). Ansage von den Tatort-Machern: „Hier kann alles passieren und das meinen wir auch so!“
Der Tatort bedient viele triviale Klischees, das muss man leider zugeben. Er hat aber auch Kontraste, Schärfe, packt ein spannendes Sozialthema an und ist zudem noch recht witzig. Das ist kein Überflieger-Krimi, aber die Zeit auf der Couch geht schnell und spannend rum. 4 von 5 Elchen.