Hat die Bundesregierung beim Atomausstieg getrickst? Umweltministerin Steffi Lemke und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) sollen laut einem Medienbericht Bedenken von Mitarbeitern ignoriert haben.
Cicero: „Habecks Geheimakten“
Das Magazin Cicero hat am Donnerstag über Akten von Habecks Wirtschaftsministerium berichtet, die zeigen sollen, „wie Strippenzieher der Grünen 2022 die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke manipuliert haben“. Ein Cicero-Journalist hatte erfolgreich auf die Herausgabe des bis dahin vom Wirtschaftsministerium unter Verschluss gehaltenen internen Schriftverkehrs geklagt.
Unter bestimmten Umständen könne eine begrenzte Laufzeitverlängerung der verbleibenden deutschen AKW bis in das folgende Frühjahr sinnvoll sein – das steht im Entwurf eines Vermerks vom 3. März 2022 von Mitarbeitern des Wirtschaftsministeriums. Sie rieten dazu, diese Option weiter zu prüfen. Dabei ging es vorrangig um Fragen der Versorgungssicherheit.
Im SWR3-Topthema erklärt Hauptstadtkorrespondent Jan Frédéric Willems, worum es genau geht und was die Diskussion für Folgen haben könnte:
Sollten deutsche AKW nach Angriff auf die Ukraine weiterlaufen?
Wie das besagte Ministerium mitteilt, lag das Dokument in der Leitungsebene nur Staatssekretär Patrick Graichen (Grüne) vor, nicht Minister Habeck. Graichen musste später nach Vorwürfen der Vetternwirtschaft zurücktreten.
Das Papier sei in einen später veröffentlichten Prüfvermerk der Ministerien für Wirtschaft und Umwelt eingeflossen, in dem diese sich gegen eine Laufzeitverlängerung aussprachen. Man habe damals auf die „sehr hohen wirtschaftlichen Kosten, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken“ verwiesen, heißt es in einer Pressemitteilung.
Nach Ausbruch des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 soll die Möglichkeit einer Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen – damals noch laufenden – Atomkraftwerke und deren Einfluss auf die Energiesicherheit immer wieder Thema gewesen sein. Diese Prüfung sei „stets ergebnisoffen und transparent“ erfolgt. Die Versorgungssicherheit habe oberste Priorität gehabt.
Das sagt Habeck zu den Vorwürfen
Auch wenn die Unterlagen, um die es geht, bei ihm damals nicht ankamen, wiegelt Habeck ab. Für ihn seien die Gespräche mit den AKW-Betreibern wichtig gewesen:
Die vorhandenen Brennelemente seien bis Jahresende aufgebraucht, schätzten die Betreiber damals. Später hätten sie korrigiert: „Da hieß es dann, die können doch noch zwei, drei, vier, fünf Monate länger laufen. Und entsprechend wurde dann auch noch einmal die Laufzeit verlängert.“
Atomausstieg-Unterlagen: Union sieht weiteren Klärungsbedarf
Der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, zeigte sich zufrieden mit Habecks Erklärungen: „Und ich möchte auch sagen, so wie der Minister es heute dargestellt hat, ist es völlig logisch, wie er entschieden hat.“ Im Moment sei Habeck kein Fehlverhalten nachzuweisen. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, kündigte eine sorgfältige Prüfung der in Aussicht gestellten Unterlagen an.
Die Union ist von der Argumentation des Wirtschaftsministers nicht überzeugt. „Im Raum steht weiter die begründete Annahme: Habecks Ministerium hat das Gegenteil dessen gemacht, was der Minister öffentlich angekündigt hatte. Verdrehung von Fakten statt ergebnisoffener Prüfung“, sagte der Sprecher für Klimaschutz und Energie der Unionsfraktion, Andreas Jung (CDU).
Habeck selbst verweist auf das Dokument:
Atomausstieg vor einem Jahr
Vor gut einem Jahr, am 15. April 2023, wurden die letzten deutschen Meiler abgeschaltet: Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland. Damit war der Atomausstieg endgültig vollzogen. Der Rückbau kann bis zu 15 Jahre dauern. Ursprünglich sollten die letzten AKW schon zum Jahreswechsel 2022/2023 vom Netz gehen. Zur Sicherung der Stromversorgung blieben sie aber einige Monate länger in Betrieb.