Wie viele Menschen betteln in Deutschland?
Wie viele Menschen in Deutschland mit betteln ihren Lebensunterhalt bestreiten, darüber gibt es keine genauen Zahlen.
Laut einer Hochrechnung des Vereins BAG Wohnungslosenhilfe waren im Verlauf des Jahres 2022 in Deutschland 607.000 Menschen wohnungslos. Davon lebten ca. 50.000 ganz ohne Unterkunft auf der Straße – viele von ihnen dürften auf Spenden angewiesen sein.
Im Stadtbild deutscher Städte sind bettelnde Menschen längst zum festen Bestandteil geworden. Vielleicht seid ihr heute bereits an einer bettelnden Person vorbei gelaufen, habt möglicherweise eine Spende hinterlassen oder ihr eine Tasse Kaffee angeboten.
Im SWR3-Podcast „Der Gangster, der Junkie und die Herrin“ holt Roman eine schambehaftete Leiche aus dem tiefen Keller seiner perspektivlosen Jugend in Brandenburg. Es geht um Bettelei, das Vortäuschen einer Notlage und wie übel sich echte Bedürftigkeit anfühlt. ⤵
Oder vielleicht habt ihr eine Person am Straßenrand sitzen sehen und euch ist eine der drei Mythen in den Kopf gekommen, denen wir in diesem Artikel auf den Grund gehen.
- Sind Sachspenden besser als Geldspenden?
- Unterstütze ich mit Geld Konsumverhalten?
- Sind bettelnde Personen Teil einer „Bettelmafia“?
Mythos 1: Sachspenden sind besser als Geldspenden
Ganz grundsätzlich gilt: Bettelnde Personen befinden sich in der Regel in absoluten Notlagen und sind daher auf Spenden angewiesen.
Das bestätigt auch Joachim Krauß. Er ist Fachreferent und stellvertretender Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.
Darauf solltet ihr beim Spenden achten
Menschen, die in diesen Situationen leben, wissen meistens selbst am besten, was sie benötigen. Wenn ihr also helfen wollt und unsicher seid, fragt doch einfach, was die betroffene Person gerade braucht. Das empfiehlt auch die Caritas.
SWR3 Moderatorin Nicola Müntefering hat in SWR3 TALK mit Dominik Bloh gesprochen. Er ist Autor und hat früher für zehn Jahre auf der Straße gelebt. Den Zusammenschnitt des Interviews könnt ihr hier anhören:
Betteln: Geldspenden ermöglichen Autonomie
Auch wenn es nett gemeint ist, wenn ihr Kaffee oder Tee anbietet, möglicherweise hat die bettelnde Person heute schon den fünften Kaffee angeboten bekommen oder sie mag einfach keinen Kaffee und würde viel eher eine warme Decke benötigen.
Und selbst wenn es eine konkrete Sache gibt, die aktuell gebraucht wird, bedeutet eine Geldspende meist auch eines: Freiheit. Die Freiheit, über Kapital zu verfügen und selbstständig und selbstwirksam zu sein.
Im SWR3-Podcast „1 plus 1 – Freundschaft auf Zeit“ sprechen Mini-Playback-Show-Moderatorin Marijke Amado und Autor Sebastian Hotz aka El Hotzo über „defensive Architektur“ – bauliche Maßnahmen, die Obdachlose von öffentlichen Orten verdrängen sollen.
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Fazit: Insofern kann man nicht pauschal sagen, dass Sachspenden Geldspenden vorzuziehen sind.
💡 Wenn ihr euch trotzdem schwer damit tut, Geldspenden an bettelnde Menschen zu geben, könnt ihr eure Spende alternativ an Vereine oder andere Einrichtungen richten, die betroffene Menschen unterstützen. Die Mitarbeiter dort können eine professionelle Einschätzung abgeben, was benötigt wird.
Mythos 2: Mit Geldspenden unterstütze ich Konsumverhalten von bettelnden Menschen
Die Angst, dass man mit einer Geldspende Alkohol- oder Drogenmissbrauch von bettelnden Personen unterstützen würde, haben einige von euch vielleicht auch schon einmal gespürt oder im Kreis von Freunden oder Familie diskutiert.
Tatsächlich kann man nicht wissen, wofür das Geld, das gespendet wird, wirklich ausgegeben wird.
Das Problem: Diese Unsicherheit füttert einen ganz bestimmten Stereotyp, der so selbstverständlich nicht auf alle bettelnden Menschen zutrifft – ganz nach dem Motto: Alle bettelnden Personen sind abhängig von Suchtmittel.
Betteln: Geldspende könnte Beschaffungsstress vorbeugen
Hier sind wir wieder beim Thema Autonomie und, dass die bettelnde Person selbst die Freiheit haben sollte, zu entscheiden, worin sie finanzielle Mittel investieren will – überspitzt formuliert: Das ist erstmal nicht die Entscheidung der Person, die spendet.
Darüber hinaus gibt es noch eine andere traurige Realität: Ist die bettelnde Person tatsächlich abhängig von Suchtmittel, könnte das Ausbleiben von finanziellen Mitteln zu Beschaffungsstress führen. Darauf weist auch die Caritas hin.
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Fazit: Ob ihr mit einer Geldspende tatsächlich eine mögliche Alkohol- oder Drogensucht von bettelnden Menschen finanziert, lässt sich pauschal also weder widerlegen noch bestätigen. Vielleicht hilft es euch, stattdessen zu fragen: Wer sollte bestimmen können, was mit der Spende passiert?
Mythos 3: Bettelnde Personen sind Teil einer „Bettelmafia“
Vielleicht habt ihr schon mal von einer sogenannten „Bettelmafia“ gehört. Der Begriff legt nahe, dass es sich dabei um eine kriminelle Handlung handelt.
Wir haben bei der Polizei nachgefragt, ob es konkrete Zahlen zum Thema „organisiertes Betteln“ in Baden-Württemberg gibt und ob diese Form von betteln strafbar ist.
Ist „organisiertes Betteln“ in Deutschland verboten?
„Organisiertes Betteln“ ist per se in Deutschland also nicht strafbar – „Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei“ allerdings schon. „Organisiertes Betteln“ sollte daher jedenfalls nicht mit „kriminellem Betteln“ gleichgesetzt werden.
Dass der Begriff „Bettelmafia“ irreführend ist, darauf weist Joachim Krauß hin:
Solltet ihr euch zu irgendeiner Zeit durch Bettelei bedroht, belästigt oder bedrängt fühlen, wendet euch am besten an die Polizei.
Fazit: „Organisierten Betteln“ ist per se in Deutschland nicht strafbar und sollte nicht mit „kriminellem Betteln“ gleichgesetzt werden. Darüber hinaus ist die Aussage, dass alle bettelnden Personen Teil einer „Bettelmafia“ seien, haltlos.