- Kommentar von London-Korrespondentin Gabi Biesinger
- Buchkritik „Reserve“: Lesen oder lassen?
- Du steigst nicht mehr durch? Hier gibt's den Überblick!
Vom Reserveprinzen zum Racheprinzen
Ein Kommentar von Gabi Biesinger, SWR3-London-Korrespondentin:
„Seine persönliche Leidensgeschichte im Rahmen von Selbsthilfebüchern aufzuschreiben, ist ja durchaus üblich. Nur stellt man damit üblicherweise nicht die quasi bekannteste Familie der Welt an den Pranger.
Man hätte sich gewünscht, irgendjemand hätte Harry vor diesem Selbst- und Fremdzerstörungstrip bewahrt – der sicher sehr lukrativ ist, aber kaum heilsam sein dürfte.
Auch wenn das gerne vergessen wird: Rachebücher und -Interviews haben im britischen Königshaus durchaus Tradition. Es waren Harrys Eltern Charles und Diana, die vor rund 30 Jahren damit Schlagzeilen machten, dass sie ihnen wohl gesonnenen Interviewern und Autoren erzählten, der jeweils andere trage die Schuld am Scheitern ihrer Ehe.
Harry hat also durchaus Vorbilder. Und nicht nur in Bezug auf das Ausplaudern pikanter Details aus dem royalen Nähkästchen. Sondern auch was das Scheitern in seiner Rolle betrifft. Die vorangegangenen „Spares“, die Ersatzthronfolger, seine Großtante Prinzessin Margaret und sein Onkel Andrew, die im Schatten der künftigen Monarchen aufwuchsen, haben auch kein glückliches sinnerfülltes Leben auf die Reihe bekommen.
Prinz Harry gebührt ohne Zweifel Mitleid. Er verliert mit zwölf Jahren die Mutter und wächst traumatisiert in einer dysfunktionalen, gefühllosen Familie auf, in der sich keiner wirklich um ihn zu kümmern scheint. Und die in Wirklichkeit eine Firma ist, die das britische Staatsoberhaupt stellt. Dazu gehört, sich permanent von den Medien beäugen, beschnüffeln und verfolgen zu lassen und immer wieder Lügen und Abwertendes über sich zu lesen. Das wünscht man niemandem.
In den Danksagungen zu seinem Buch führt Harry 15 Personen auf, die ihn als Coaches, Mediziner und Therapeuten über die Jahre physisch und psychisch stark gemacht hätten. Dass Harry, der als Soldat im Krieg in Afghanistan sicher noch zusätzliche Grenzerfahrungen machte, sich professionelle Hilfe sucht, ist gut und spricht für ihn.
Doch was – außer einer ganzen Menge Geld natürlich – hat Harry dazu getrieben, öffentlich seine Intimität bloßzustellen und mit seiner Familie derart abzurechnen?
Die peinlichen Selbstenthüllungen über Sex and Drugs, Entjungferung auf dem Feld hinterm Pub, verkühlte Genitalien nach Antarktisexpedition, Drogenerfahrungen von psychedelischen Pilzen bis Koks schaden ihm vor allem selbst.
Und die heftigen Vorwürfe gegen seinen Bruder, Thronfolger William und seine Stiefmutter, Königin Camilla, ihn verraten und verachtet zu haben, liefern Futter für jene Boulevardmedien, die er so hasst. Es ist heuchlerisch, eigene Verletzungen zu beklagen und derart rücksichtslos zurückzuschlagen.
Wie wenig Urteilsvermögen muss jemand besitzen, der seine Familie öffentlich in die Pfanne haut und sich dann in Interviews setzt, um zu behaupten, er liebe seinen Vater und seinen Bruder und er sehe eine hundertprozentige Chance für eine Versöhnung.
Der Ball liege im Feld der Familie und er erwarte eine Entschuldigung. Dieses Buch ist ganz sicher kein Olivenzweig, den seine Sippe, jenseits des Atlantiks in London annehmen könnte. Es ist alles so voller wirrer Widersprüche, wenn Harry beteuert, er sehe eine Zukunft für die Monarchie und sie gleichzeitig so beschädigt.
Wie langfristig Harrys Vorwürfe der britischen Monarchie schaden werden, ist noch nicht abzusehen. Man bemüht sich, das ganze zur Familienkrise zu erklären – und nicht zur Krise der Monarchie.
Dabei wäre es eigentlich so wichtig, wirklich zu hinterfragen, warum das Königshaus immer wieder daran scheitert, öffentlichkeitsbegabte Persönlichkeiten wie Prinzessin Diana oder Herzogin Meghan, die auch neue Zielgruppen ansprachen, für die eigene Popularität zu nutzen, anstatt sie zu verprellen. Aber eine zeitnahe konstruktive Zukunftsdebatte ist nach Harrys Rundumschlag kaum zu erwarten.
Nach all dem wünscht man Harry von Herzen, er hätte tatsächlich die Person gefunden, die ihm endlich die Zuneigung und Unterstützung schenkt, die er sein Leben lang schmerzlich vermisst hat. Doch seine erklärte große Liebe Meghan hat ihn im Stich gelassen, denn sie hat ihn nicht vor der Veröffentlichung dieses selbstzerstörerischen Buchs bewahrt.“
Ende des Kommentars.
„Reserve“: Lohnt sich das Lesen von Prinz Harrys Biografie?
Neben all den interessanten oder vielleicht weniger interessanten Geschichten aus dem Königshaus und von Harry wollen wir wissen: Taugt das Buch? Ist es ein Buch, das ich mir für den nächsten Urlaub kaufe? Wie siehts aus bisher, Daumen hoch oder Daumen runter, lesen oder lassen? SWR3-Promireporterin Kristina Hortenbach hat das Buch gelesen.
Aussagen und Vorwürfe von Prinz Harry
Du steigst auch nicht mehr durch, was Harry den Royals vorwirft und worüber da jetzt genau diskutiert wird? Wir fassen dir die wichtigsten Punkte der Debatte zusammen.
Nach der Netflix-Doku, die das Leben von Meghan und Harry zeigt und private Vorwürfe und Details zu ihrem Leben thematisiert, ist der nächste Grund für Gesprächsstoff schon am Start: Ein Buch, auf das wahrscheinlich vor allem die britische Boulevardpresse gewartet hat: „Reserve“, (im Original: „Spare“), die Biografie des britischen Prinzen Harry. Im Interview mit dem Fernsehsender ITV klingt Prinz Harry immer wieder so, als wolle er genau das eigentlich nicht: die Boulevardpresse füttern. Die Wut auf die Presse, das ist ein Thema, über das Harry immer wieder spricht. Eine Rangelei, die durch seinen Bruder, den britischen Thronfolger Prinz William ausgelöst worden sei, ein Konflikt zwischen den Frauen der Brüder, Meghan und Kate, eine Debatte darüber, ob er bei seiner Hochzeit einen Bart tragen dürfe und seine Stiefmutter Camillia, die er beschuldigt, Informationen an die britische Presse weitergegeben zu haben, was er auch anderen Familienmitgliedern vorwirft – Harry liefert allein im Interview zum Buch schon jede Menge Material für Headlines in der Klatschpresse.
Tod von Mutter Diana war traumatisch
Er beschreibt eindrücklich das tiefe Trauma über den Verlust seiner Mutter, als er 12 Jahre alt war. Die Nacht, als sein Vater Charles sich an sein Bett setze und wie er ihm die Nachricht überbrachte. Dass er lange glaubte, Prinzessin Diana sei untergetaucht und würde irgendwann zurückkommen. Wie er sich später durch den Pariser Tunnel fahren ließ, in dem seine Mutter im Sommer 1997 verunglückte, um den Unfall zu begreifen. Wie er die Geheimakten der britischen Regierung zum Tod seiner Mutter einsah und was er fühlte, als er dort Fotos des Unfallortes sah, der von Paparazzi umzingelt gewesen sei – das lässt sich wohl mit ‚Abscheu‘ am besten zusammenfassen.
Harry macht die Paparazzi für den Tod seiner Mutter verantwortlich. Im ITV-Interview klingt auch die Angst durch, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Er wolle nicht alleinerziehend werden, so Harry.
Kampfansage mit Wunsch auf Versöhnung?
Immer wieder betont er im Interview seine tiefe Liebe zu seiner Familie, seine Enttäuschung darüber, im „zweitdunkelsten Moment“ seines Lebens von ihnen allein gelassen worden zu sein und seinen Wunsch nach Versöhnung. 38 Jahre lang wurde seine Geschichte von anderen geschrieben, so Harry. Jetzt will Prinz Harry das selbst tun. Aber: Was auch immer die Absicht seines Buches war, der Gegner ist riesig und mächtig: Die britische Klatschpresse. Ob er mit seiner Biografie tatsächlich der Geschichte seine eigene Stimme geben kann, bleibt abzuwarten.