Kinderkriegen – ja oder nein? Das ist eine Frage, die sich für die meisten Frauen oder Paare irgendwann im Leben stellt. Allerdings ist es auch ein Thema, bei dem sich Freunde einmischen oder gesellschaftliche Erwartungen eine Rolle spielen. Autorin Melanie Hughes hat in der SWR3-Vormittagsshow mit Nicola Müntefering beschrieben, wie sich für sie der Weg zu einer wirklich eigenen Entscheidung angefühlt hat:
Will ich ein Kind – ja oder nein?
Auf unser Interview im Radio haben viele SWR3-Hörer reagiert.
Und es haben sich auch Frauen bei uns gemeldet, die davon berichten, wie schwierig es für sie ist, nicht in der Mutterrolle aufzugehen – und darüber zu sprechen, ohne verurteilt zu werden:
Darf ich sagen, dass ich nicht glücklich bin als Mutter?
Ich bereue es, Mutter geworden zu sein. Darf eine Frau so etwas sagen? „Unbedingt, darüber muss man sprechen“, hat Autorin Sarah Fischer im Interview mit SWR3 gesagt. Sie liebt ihre Tochter, aber eben nicht ihre Mutterrolle. Experten sehen dies als ernstzunehmende Gefühlslage, von der Frauen unverschuldet betroffen sein können – ähnlich wie bei Depressionen.
Als Sarah Fischer ihre Tochter bekam, war eigentlich erst einmal alles gut. Sie bereute ihre Entscheidung nicht, Mutter geworden zu sein. Ganz selbstverständlich ging sie auf eine längere Geschäftsreise, da war ihre Tochter neun oder zehn Monate alt. „Da haben sich Leute gewundert, wie das denn gehen kann – eine Mutter gehört doch zum Kind.“ Sie fragten, wie egoistisch es sei, dass die junge Mutter jetzt schon wieder arbeitet.
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Es gibt keinen Testlauf dafür, Mutter zu sein
Für Sarah ist das nicht nachvollziehbar, schließlich liebt sie ihren Job. Außerdem kann sie es sich gar nicht leisten, nicht arbeiten zu gehen. Sie war gemeinsam mit dem Vater des Kindes auf zwei Gehälter angewiesen. Verständnis? Fehlanzeige. Sie sah sich mit vielen Vorwürfen konfrontiert, erzählt sie. „Wenn ich gewusst hätte, was damit alles zusammenhängt, was alles von mir erwartet wird... Ohne Worte.“
Die typischen Reaktionen auf so eine Aussage seien, man hätte sich das als Mutter ja vorher überlegen können. Aber klar: Gerade das Muttersein kann niemand mal eben ausprobieren, einen kleinen Testlauf machen und dann doch das Kind noch mal zurückgeben.
„Nein, es ist nicht die Mutter egoistisch“
Also muss man durch. So auch Sarah. Sie hat immer wieder gehört, wie egoistisch sie sei und darauf mit der Zeit eine persönliche Antwort gefunden: „Nein, es ist nicht die Mutter egoistisch, die Gesellschaft ist egoistisch. Und mein Umfeld ist egoistisch, sich anzumaßen, darüber überhaupt zu urteilen.“ Es sei schließlich eine ganz persönliche Sache, wie eine Frau mit der Mutterschaft umgeht und wie viele andere Dinge sie in ihrem Leben weiterhin pflegen möchte.
Wenn Mütter bereuen, Mutter zu sein
Tabu brechen, endlich darüber reden!
Sarah hat ein Buch darüber geschrieben. Die Mutterglück-Lüge, heißt es. Regretting Motherhood – warum ich lieber Vater geworden wäre. Als sie das herausgebracht hat, kamen bis zu 80 Zuschriften am Tag. Heute freut sie sich, dass sie ein Tabu brechen und damit vielen anderen Betroffenen helfen konnte. Darauf würde ihre Tochter sicherlich einmal stolz sein, sagt sie.
Übrigens hätten sich auch nicht nur Mütter gemeldet, sondern auch Väter, die sich verbunden gefühlt hätten und dankbar, dass mal jemand das Thema anspricht.
Negative Reaktionen auf #RegrettingMotherhood
Natürlich habe es aber auch viel Empörung gegeben. Rückmeldungen, die nicht so nett gewesen waren. Viele hätten ihr unterstellt, ihre Tochter nicht zu lieben. Dabei sei es ihr darum nicht gegangen. Sarah war unzufrieden mit ihrer Rolle.
Auch in unserem Studiofeedback mit SWR3-Hörern läuft diese Debatte im Anschluss an das Interview kontrovers. Viele haben aber Verständnis und wollen gern, dass mehr über die Gefühle von Müttern gesprochen wird. Ohne Vorverurteilung.
„Es ist nicht so, dass die Mutter zum Kind gehört“
All diese Reaktionen zeigen Sarah, dass das Thema brisant ist, dass man drüber sprechen muss. Es geht nicht nur um Hormonschwankungen in oder nach der Schwangerschaft. Die Autorin will in der Debatte nicht falsch verstanden werden, sie betont: Die Überforderung mit der Rolle habe es schon immer gegeben, aber „das Burnout der Mütter wird immer schlimmer.“
Mütter seien nicht das Eigentum des Kindes: „Es ist nicht so, dass die Mutter zum Kind gehört“, davon ist sie überzeugt. Eine Mutter sei nicht alleine für alles verantwortlich, was mit dem Kind passiert. Abgesehen vom Stillen könnten auch Väter vieles abnehmen. Das Familienbild, das viele heute noch hätten, sei längst überholt. Man müsse die Rahmenbedingungen endlich ändern.
Wichtig ist ihr, zu betonen, dass es vor allem um das Rollenverständnis und die damit zusammenhängenden Anforderungen und Erwartungen geht – sie wolle ihr Kind nicht loswerden oder zurückgeben.
Soziologin Orna Donath brach öffentlich das Tabu
Diese Unterstellung gibt es natürlich immer wieder. Und das liegt vor allem daran, wie sich die Debatte entwickelt hat. Vor vier Jahren hat die israelische Soziologin Orna Donath eine Studie veröffentlicht, in der sie sich mit Müttern beschäftigt hat, die dauerhaft und anhaltend bereuen, Mutter geworden zu sein. Es brach eine Diskussion los, die auch im Netz heiß diskutiert wurde.
Dabei geht es eben nicht nur darum, dass Mütter keine Liebe für ihre Kinder empfinden können. Sondern darum, dass man als Eltern auch mal überfordert, unglücklich und frustriert sein kann – dass widersprüchliche Gefühle erlaubt sind.
Regretting Motherhood: Baby Blues und Mutterrolle
Die Debatte damals wie heute macht klar, dass es schwierig ist, über ein so sensibles Thema wie Mutterschaft zu sprechen und jedem Einzelfall gerecht zu werden.
Während laut Studien nur ein geringer Teil der Mütter an einer länger anhaltenden postpartalen Stimmungskrise oder Depression (in einer leichten Form auch Baby Blues genannt) leidet, ist die Dunkelziffer unglücklicher Eltern laut Experten vermutlich um einiges höher. Offenbar haben viele Menschen Probleme damit, mit ihrer neuen Familienrolle klarzukommen – und das kann eine ernstzunehmende Erkrankung sein, genauso wie andere Formen von Depression. Dabei spielen Ängste eine große Rolle, manchmal geht es um extreme Sorge um das Wohl des Kindes, manchmal um konkrete Probleme mit der Mutterrolle.
Wie genau sich diese Findungsphase weiterentwickelt und ob sich die Unzufriedenheit wieder einstellt, ist unterschiedlich. Die Liebe zum Kind muss gar nicht in direktem Zusammenhang stehen, wie uns auch Psychologin Anke Precht im SWR3-Interview bestätigt.
Auch Soziologin Orna Donath wollte nicht etwa zeigen, dass Mütter ihre Kinder nicht lieben. Sie verdeutlichte eher, dass Eltern in der Realität nicht immer so glücklich sind, wie es die Babybrei-Werbung vormacht. Auch Unbeteiligte und Kinderlose bewegt diese Diskussion – und sie ist sicher noch nicht beendet.
Psychologin Anke Precht: Wie Betroffene sich fühlen und was hilft
Beratung und Hilfe für Betroffene
- Beratung und Hilfe gibt es anonym und kostenlos beim Elterntelefon, unter der Telefonnummer 0800 111 0 550.
- Betroffene können sich auch an das Mutter-Kind-Hilfswerk e.V. wenden. Kostenfreie Beratung gibt es unter der Nummer 0800 225 5 100.
- Das Hilfetelefon bietet Beratung für Frauen, kostenlos und rund um die Uhr: 0800 011 6 016.
- Bei Fragen und Problemen rund um die Schwangerschaft bietet die Caritas eine umfangreiche Betreuung an – auch online und anonym.
- In größeren Städten gibt es außerdem auch Erziehungsberatungsstellen. Sie werden meist von wohltätigen Verbänden betrieben und bieten eine persönliche, nahegelegene Anlaufstelle für Eltern.
Als Kind missbraucht – Betroffene berichten „In dieser Sekunde ist etwas in mir gestorben“
Der brutale Missbrauch an mehreren kleinen Kindern in Münster hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. SWR3 hat mit Betroffenen gesprochen, die als Kind selbst zum Opfer wurden und bis heute unter den Folgen leiden.