Etwa jede vierte Frau ist mindestens einmal von körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner betroffen. Nina dachte nie, dass ihr so etwas passieren könnte.
Heute weiß Nina, dass es jedem Menschen passieren kann. Viele von euch kennen sie aus unserem Podcast Der Gangster, der Junkie und die Herrin. Über den dunkelsten Tag in ihrem Leben und ob es einen Zusammenhang zwischen dem Erlebten und ihrem Job als Domina gibt, hat sie mit uns gesprochen.
❗ TRIGGERWARNUNG ❗ – Thema gefährliche Körperverletzung: Wenn du unsicher bist, ob dich das Thema zu sehr mitnimmt – lass erst jemanden lesen, dem du vertraust.
Gewalt gegen Frauen: Die Geschichte von Nina in Kapiteln
- Die Kennenlernphase
- Warum es keine ernste Beziehung wurde
- Wie Nina in die gefährliche Situation gelockt wurde
- „Die Zeit als Opfer beginnt eigentlich erst danach“
- Wie hat Nina ihre Stärke zurückgewonnen?
- Hier bekommt ihr Hilfe
- Warum das Thema wichtig ist – Meinung
Die Kennenlernphase zwischen Nina und dem Täter
Nina beschreibt sich mit Anfang 20 als zielstrebige junge Frau, die mit einer gewissen Leichtigkeit durchs Leben ging. Sie kam frisch aus einer Beziehung, in der sie nicht mehr glücklich war, als sie ein Kerl anspricht und sie um ein Date bittet.
Sie erinnert sich im Gespräch mit uns an einen tollen Sommer in Hamburg, den sie mit vielen Spaziergängen am See mit ihm und ihrem Hund verbrachte und gemeinsame Dates, bei denen sie auch seine Freunde und seinen Sohn kennenlernte.
Die Kennenlernphase ging sechs bis acht Wochen. Für Nina war nach der Zeit klar: Für eine ernste Beziehung reichen ihre Gefühle für ihn nicht aus.
Warum es Nina nicht für eine ernste Beziehung gereicht hat
Für Ninas Entscheidung spielten beispielsweise die verschiedenen Wertvorstellungen eine Rolle, aber auch, wie sprunghaft er in seiner Art sein konnte. Besonders eine Situation ist Nina in Erinnerung geblieben: Er wurde aufbrausend, weil Nina keine Zeit hatte, mit ihm auszugehen.
Außer dieser Auseinandersetzung gab es für Nina keine Anzeichen dafür, dass er irgendwie gewalttätig sein könnte. Sie beschreibt ihn sogar als fast zu soft und unterstellt ihm, dass es eine Art Masche gewesen sein könnte, um sein Aggressionspotenzial zu überspielen. Nina kam zum Schluss:
Sie sucht das Gespräch mit ihm und erklärt, dass sie ihn nicht weiter sehen wolle. Das Gespräch verlief ruhig. Er brachte ihr Verständnis entgegen – zuerst.
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Wie Nina in die gefährliche Situation gelockt wurde
Wenige Tage nachdem Nina den Kontakt abgebrochen hat, meldet er sich bei ihr und bittet um ein Gespräch. Er wartet auf dem Fitnessstudioparkplatz auf sie und bittet Nina in sein Auto.
Für Nina beginnt ein Kampf ums Überleben. Laut Nina hat der Täter versucht, ihr das Genick zu brechen und sie zu ersticken. Während des Kampfes reißen Haare und Ohrringe ab. Nina wird immer wieder ohnmächtig.
Der einzige Moment, der den Täter aus seinem „Rausch“ gezogen hat, war, als Zeugen an die Scheibe des Autos geklopft haben. Allerdings konnte der Täter sie davon überzeugen, dass alles in Ordnung sei. Kurze Zeit später entfernen sie sich vom Auto. Nina und der Täter sind wieder alleine.
Die einzige Hoffnung: Nina saß wieder aufrecht auf dem Beifahrersitz und hat Zeit zum Durchatmen. Obwohl er sie immer noch dominierte und gewalttätig war, schaffte Nina es, ihn in einem ruhigen Moment zu stoppen.
Nina begibt sich schnellstmöglich in ihr Auto und verlässt den Parkplatz des Fitnessstudios. Komplett überfordert von der Situation fährt sie Richtung nach Hause. Wer wartet dort schon auf sie? Der Täter. Sie fährt an einen öffentlichen Ort – zu einer Tankstelle. Von dort aus ruft sie eine vertraute Person an, die sie direkt zur Polizei begleitet. Und wer wartet da schon? Der Täter.
Gewalt gegen Frauen: „Die Zeit als Opfer beginnt eigentlich erst danach“
Noch in der Tatnacht nehmen die Polizisten Ninas Aussage auf und dokumentieren mit Fotos ihre Verletzungen. Die folgenden Wochen sind der Horror für sie. Durch einen unglücklichen Vorfall erfahren alle auf der Arbeit, was ihr widerfahren ist. Ihr Telefon steht nicht mehr still, sie bekommt unangekündigte Besuche. Und dann die unterdrückten Anrufe von der Gerichtsmedizin und der Kripo – Nina muss für weitere Fotos, Aussagen und zum Nachstellen der Szenen vorbeikommen.
Wie hat Nina ihre Stärke zurückgewonnen?
Wer Nina aus dem SWR3 Podcast Der Gangster, der Junkie und die Herrin kennt, weiß, dass Nina eine starke und inspirierende Persönlichkeit ist. Wie konnte sie nach so einer brutalen Gewalttat wieder zu dieser Person werden?
Nina schließt ihre Ausbildung im Luxusautohaus mit Bestnote ab. Obwohl sie dafür unter anderem auch mit fremden Männern im Auto sitzen muss, um ihnen die Einzelheiten der Autos zu präsentieren und bei Probefahrten dabei sein muss. Sie hängt sich voll in den Sport rein und fängt an, bei Bodybuilder-Wettkämpfen mitzumachen.
Nina hat, schon bevor sie den Täter kennengelernt hat, nebenbei Geld über Fetisch-Portale und Ähnlichem verdient. Sie war aber noch nicht so stark wie heute als Domina tätig. Was hat die Gewalttat mit ihrem Job heute gemein?
Hier bekommt ihr Hilfe
Egal ob Hilfetelefon, eine Liste an Frauenhäusern oder Angebote für (potenzielle) Täter: Hier finden Hilfesuchende wichtige Anlaufstellen.
Warum der Autorin das Thema wichtig ist – Meinung
Ja, Geschichten, die Gewalt thematisieren, sind brutal. Und ja, eventuell lösen sie Bilder in unseren Köpfen aus, die in uns unangenehme, schmerzhafte Emotionen auslösen. Dem sollten wir uns – wenn möglich – stellen. Dadurch machen wir auf einen Missstand aufmerksam und dafür sorgen, dass es kein Tabuthema ist – nur weil es vielleicht unbequem ist.
Gewalt gegen Frauen ist nichts, das nur in Filmen oder absoluten Ausnahmefällen stattfindet: Etwa jede vierte Frau ist mindestens einmal von körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner betroffen. Jede vierte Frau bedeutet 25 Prozent. Wenn du vier Frauen kennst, ist statistisch gesehen, eine in ihrem Leben von Gewalt betroffen gewesen.
Diese Gewalt hinterlässt Spuren. Nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch im Umfeld – viele sind machtlos gegen die Täter. Im Beispiel von Herrin Nina wird die Aussichtslosigkeit klar, in der sich viele während der Gewalttaten wiederfinden. Du kannst nicht einfach zur Tür raus – du bist gefangen: Sei es aufgrund des Schocks, der körperlichen Unterlegenheit oder aufgrund anderer Umstände. Umso wichtiger können die Schritte danach sein.
Ninas Geschichte ging letztendlich gut aus. Es hat sie Zeit, Nerven und Kraft gekostet. Allein deshalb gehört für mich ihre Geschichte erzählt – ihre Emotionen waren bei weitem intensiver als die, die wir eventuell empfinden, wenn wir uns mit ihrem Erlebten auseinandersetzen. Ninas Erfahrung und der Umgang damit hilft hoffentlich anderen dabei, Mut zu fassen und sensibler beim Thema Gewalt gegen Frauen zu sein. Meiner Meinung nach sollten wir viel öfter über ähnliche Geschichten sprechen und uns der grausamen Wahrheit stellen, dass es Menschen gibt, die Grundrechte aufs Übelste missachten.
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