Triggerwarnung: Im nachfolgenden Text geht es um sexualisierte Gewalt und deren Folgen für Betroffene. Das kann belastend und retraumatisierend sein. Wenn du in einer solchen Situation bist, bekommst du hier Hilfe.
Der 18. April 2013 ist der Tag, an dem Ninas altes Leben endet. Der Tag, als die damals 30-Jährige mit Freunden in der Münchner Innenstadt unterwegs ist, um zu feiern. Eigentlich sind sie schon schon auf dem Heimweg, Nina will aber weiterfeiern, weil sie am nächsten Tag frei hat. Am Karlsplatz, einem beliebten Treffpunkt in der Innenstadt, lernt sie eine Person kennen, mit der sie in den Club zurückkehrt. Sie ist leicht angetrunken, ihr wird ein Drink ausgegeben.
Das Nächste, an was sich Nina erinnert, ist ihre Vergewaltigung. Ein Mann liegt auf ihr, draußen im Park, gegenüber des Clubs. Ein anderer steht daneben. Nina bleiben nur Erinnerungsfetzen, keine klaren Bilder: Passanten fragen, ob alles okay ist – noch während der Vergewaltigung. Sie weiß, dass gar nichts okay ist. Irgendwann lassen ihre Peiniger von ihr ab.
Nach K.O.-Tropfen vergewaltigt: Nina wollte erst nicht zur Polizei
Nach der Tat gehen Nina unfassbar viele Fragen durch ihren Kopf, sie ist komplett überfordert. Von den K.O.-Tropfen selbst hat sie nichts gemerkt vor dem Blackout. Vielleicht erinnert sie sich auch nicht mehr daran.
Zur Polizei will sie nicht gehen. Ihr geht es „hundeelend“, körperlich wie mental. Wie soll sie da die Vernehmung und vor allem die rechtsmedizinische Untersuchung über sich ergehen lassen? Es ist ihre Schwester, die sie schließlich überredet, hinzugehen. Dann beginnt, wie Nina sagt, der eigentliche Horror.
Polizei scheint K.O.-Tropfen-Opfer nicht zu glauben
Bei der Vernehmung werden ihr viele Fragen gestellt, auch solche, die sehr unangenehm sind. Immer wieder kommt es Nina aber so vor, als ob ihr die Beamten nicht glauben wollen. Ihr wird sogar gesagt, dass es K.O.-Tropfen nicht gäbe, dass das alles nur von den Medien aufgebauscht sei. Anschließend muss sie zur rechtsmedizinischen Untersuchung. „Jeder Quadratmillimeter meines Körpers wurde untersucht“, wird sie später darüber sagen.
Nina ist von Schuldgefühlen zerfressen. Wenn sie einfach mit den Freunden nach Hause gegangen wäre, wäre es nicht passiert, sagt sie sich. Nina wird später von anderen Opfer sexualisierter Gewalt erfahren, dass solche Gedanken häufig vorkommen.
Die Polizei findet Spermaspuren und gleicht diese in einer DNA-Datenbank ab – kein Treffer. K.O.-Tropfen können in ihrem Blut nicht nachgewiesen werden. Laut der „Beratungsstelle Frauennotruf“ in Frankfurt sind K.O.-Tropfen nur etwa sechs Stunden im Blut nachweisbar. Nach 10 Monaten wird ihr Fall ergebnislos geschlossen. Auch wenn sie die Schließung der Akte nachvollziehen kann, fühlt sich Nina – nach allem was passiert ist – vom System im Stich gelassen. Es wird nicht das letzte Mal sein.
K.O.-Tropfen Betroffene: Fünf Jahre später findet die Polizei einen mutmaßlichen Täter
Inzwischen ist es Mai 2018. Nina will mit der Sache irgendwie abschließen, irgendwie weiterleben. Sie geht auch an die Öffentlichkeit, dreht mit unseren Kollegen vom ZDF eine Reportage bei 37°, spricht mit Freunden und Bekannten ganz offen darüber. „Mein Weg damals war der absolute Kampfmodus“ sagt sie. Sie will kein Opfer sein und geht auch danach wieder alleine durch den Park. „Stärke war meine Überlebensstrategie.“
Kurz darauf erhält sie einen Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass es nun doch einen Treffer in der DNA-Datenbank gibt und der Fall wieder aufgenommen wird. Nina ist voller Hoffnung und glaubt, dass es nun endlich einen Prozess geben wird.
Doch nur wenige Monate später, Anfang 2019, schließt die zuständige Staatsanwältin den Fall erneut. Begründung: Ninas Erinnerungslücken und dass sie ja in der Tatnacht vielleicht auch noch mit anderen Männern Geschlechtsverkehr gehabt haben könnte. Ein zweites Mal fühlt sich Nina ohnmächtig und vom System im Stich gelassen. Warum wird ihr ein fairer Prozess verweigert, fragt sie sich?
Nina: „Ich würde wieder zur Polizei gehen“
Eine Sache ist Nina wichtig – trotz all der juristischen Rückschläge, trotz der schlechten Erfahrungen bei der Polizei: Sie möchte, dass K.O.-Tropfen-Opfer zur Polizei gehen und die Tat zur Anzeige bringen. Die Dunkelziffer der K.O.-Tropfen-Fälle sei sehr groß, und man könne es nie kleiner bekommen, wenn niemand solche Fälle zur Anzeige bringt, sagt Nina.
Unsere ZDF-Kollegen haben Nina ein zweites Mal interviewt, nachdem ihr Fall erneut eingestellt wurde.
Nina startet startet Online-Petition für Opfer von K.O.-Tropfen
Nina entschließt sich, noch mehr für ihr Recht zu kämpfen. Sie startet eine Online-Petition, arbeitet mit der Opferschutz-Organisation Weißer Ring zusammen, Artikel beim Spiegel und der Süddeutschen erscheinen über sie. Juristisch scheitert sie erneut. Schließlich gründet sie während der Corona-Pandemie ihren Verein K.O. e.V. – das steht für Kein Opfer, ihr Lebensmotto. Dort gibt es Hilfe und Beratung für Opfer von K.O.-Tropfen.
So geht es Nina heute nach den K.O.-Tropfen
Seit der Tat ist Nina ein anderer Mensch, sagt sie selbst. Ihr Leben sei komplett auf den Kopf gestellt worden. Doch dann antwortet sie etwas Erstaunliches: „Wenn ich das könnte, würde ich diesen Tag nicht ungeschehen machen.“ Sie sei mit der Person, die sie heute ist und dem Leben, das sie heute hat, sehr zufrieden und wolle das alles nicht missen. Sie habe ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Körper und auch zur Sexualität.
„Das bedeutet nicht, dass ich die Tat rechtfertige“, sagt sie. Aber sie sei durch die Geschichte gewachsen und könne jetzt etwas tun für die Gesellschaft, was ohne das große Leid, das sie erfahren hat, wohl nicht möglich gewesen wäre.
Jochen hat durch K.O.-Tropfen einen totalen Blackout und dabei beide Beine und einen Arm verloren.