Unwürdig - der Fall Christian Wulff / Episode 8: Der perfekte Sturm
Christopher: Eigentlich ist die Geschichte jetzt zu Ende. Aber es sind noch so ein paar Fragen offen – und wir finden, es gibt auch noch ein paar spannende Details, über die wir jetzt noch reden wollen. Weil es steht ja immer noch ein bisschen die Frage im Raum: Christian Wulff ist freigesprochen worden, hat sich also nichts zu Schulden kommen lassen – aber trotzdem kam es zu dieser unfassbaren Geschichte. Wie kann das passieren?
Kilian: Christian Wulff, das muss man auch noch einmal sagen, hat ja wahnsinnig viel ertragen müssen: Falsche Anschuldigungen, bösartige Gerüchte, unfaire Presseberichte und Medien, die teilweise keine Grenzen mehr kannten. Obwohl ja, wie du richtig sagst, juristisch nichts hängen geblieben ist. Während wir das alles recherchiert und auch diese außergewöhnliche Geschichte erzählt haben, hat sich bei uns immer wieder Ratlosigkeit breit gemacht. Und wir sind uns sicher, dass wir da nicht alleine sind.
Christopher: Ich würde vorschlagen, wir fangen mit einer Frage an, die Christian Wulff selbst aufgeworfen hat. In Folge 6 sagt er, dass er eigentlich sicher war, dass er das Ganze durchstehen kann – also nicht hätte zurücktreten müssen – wenn nicht seine Immunität aufgehoben worden wäre. Das hat die Staatsanwaltschaft ja beantragt.
Kilian: Wulff zieht sich also selbst darauf immer wieder zurück und sagt: Ich bin ja freigesprochen worden. Ich habe nichts Strafbares getan. Und ich habe mich ja auch entschuldigt. Und deshalb hätte ich bleiben können. Die Frage ist: Ist das wirklich so?
Christopher: Und genau daran kann man zweifeln. Wir haben mit so vielen Leuten gesprochen. Journalisten, Politiker und so weiter. Und die haben immer wieder gesagt: Da ging es nicht nur drum, ob irgendwas strafbar war. Sondern, was für einen Eindruck so ein Bundespräsident hinterlässt. Was ist das für ein Präsident, der sich ständig entschuldigen muss für irgendwas. Oder ständig irgendwelchen absurden Vorwürfen nachlaufen muss – ob sie wahr sind oder nicht.
Kilian: Der auch ein etwas merkwürdiges Verhältnis zu den Medien hat. Und der auch im Nachhinein noch sagt: Er steht zur Mailboxnachricht.
Christian Wulff: „Ich stehe zu allem, was ich gesagt habe und habe sehr rational auch entschieden anzurufen, weil ich mir nicht später den Vorwurf machen wollte, hättest du mal angerufen. Also das ist auch nach wie vor eine Sache, mit der ich im reinen bin.”
Also: Er bereut das nicht. Was es ausgelöst hat, ja. Die Botschaft selbst nicht.
Christopher: Und genau darum geht es. War Wulff so souverän, wie man das von einem Bundespräsidenten erwartet? War er wirklich eine moralische Instanz? Das ist ja einfach seine wichtigste Aufgabe. Ein Bundespräsident hat nicht viele Aufgaben. Er muss einfach ein Vorbild für alle sein. Und daran haben dann doch schon viele gezweifelt. Wie gesagt: Unabhängig davon, ob er was Verbotenes getan hat oder nicht.
Kilian: Das ist jetzt das Ergebnis. Aber wie konnte es soweit kommen? Warum ist die Geschichte so dramatisch verlaufen?
Christopher: Weil am Ende kamen da ja so unfassbar viele Dinge zusammen. Das konnte einfach niemand mehr beherrschen.
Kilian: Mich erinnert das an diesen englischen Begriff The perfect storm. Perfekter Sturm auf Deutsch. Klingt positiv, aber das meint der Begriff gar nicht. Das heißt so viel wie: maximale Katastrophe. Das ist sehr selten, weil dafür ganz unterschiedliche Bedingungen zusammenkommen müssen. Aber wenn das mal passiert – dann wird der Sturm auch verheerend. Ein Beispiel: Fukushima. Das Erdbeben in Japan 2011. Das hat einen Tsunami ausgelöst. Der hat ein Atomkraftwerk überflutet. Und dann gab es diese massive Atomkatastrophe. Da musste alles zusammenkommen, dass das so passiert. Ein perfect storm. Seitdem wir uns so lange und intensiv mit Christian Wulff beschäftigt haben, muss ich bei diesem Begriff immer an ihn denken.
Christopher: Das ist ein guter Begriff. Aber man muss nochmal sagen: Das war jetzt kein Naturereignis wie ein Sturm. Sondern einfach eine Verkettung von Ereignissen. Teilweise selbst verschuldet. Es ist nicht einfach so passiert.
Kilian: Genau, keine Naturkatastrophe. Aber: Bei einem perfekten Sturm kommt eben auch viel zusammen – so wie bei Wulff.
Christopher: Man kann sich jetzt fragen: Warum können denn bitte so viele Fehler passieren und so viele Sachen zusammenkommen, dass das überhaupot nicht mehr beherrschbar ist?
Kilian: Lass uns das nochmal genau anschauen. Das erste sind Wulffs krasse Fehler. Es ist schon wirklich erstaunlich, ich bin da echt erstaunt darüber, dass so ein Politikprofi wie er so viele Fehler gemacht hat. Das sind überwiegend Dinge, die schon passiert sind, als er noch in Hannover als Ministerpräsident war.
Christopher: Da ist zunächst der Hauskauf – und dass er da nicht so ganz die Wahrheit gesagt hat im Landtag. Es war zwar die Wahrheit – aber es hat doch ein wichtiges Detail gefehlt.
Kilian: Aber das war eben nicht der einzige Fehler. Wir haben ja mit ihm gesprochen und ihn gefragt: Welche Fehler haben Sie gemacht? Da nennt er auch ein Upgrade bei einem Urlaubsflug, das er angenommen hat. Also da durfte er in die Business-Class, obwohl er nur Economy bezahlt hat. Heute sagt er, das war ein Fehler. Aber er sagt auch das:
Christian Wulff: „Ich kenne nicht so viele, wo beim Einchecken gesagt wird: ‚Wollen Sie, wir haben da Plätze frei, eine Klasse höher fliegen?‘ Die dann sagen: ‚Nein, ich möchte bitte in der Klasse bleiben, wo ich bin.’ Sicher war ein Fehler, einen gebuchten Urlaub, einen bezahlten Urlaub bei einem wohlhabenden Menschen aus Niedersachsen dann anzutreten, den ich als Ministerpräsident antreten wollte. Und dann war ich Bundespräsident geworden. Das hätte ich lassen sollen. Aber ob das rechtfertigt, den Verzicht vom Amt zu fordern, wenn man dann auch noch einräumt, dass es ein Fehler war. Da habe ich starke Zweifel.“
Christopher: Wenn ich das höre, dann habe ich den Eindruck: Er hat offenbar nicht so ganz verstanden, was das Problem ist. Das sind alles Dinge, die können passieren. Aber sie sehen auch ein bisschen merkwürdig aus. Und das muss er unterschätzt haben: Wie Dinge tatsächlich aussehen – und dass sie anders aussehen als er das gerne gehabt hätte. Klar, können einem die Fehler passieren. Aber wenn es sich häuft, dann ist das ein Problem – besonders für einen Bundespräsidenten.
Kilian: Dann kommt das schleppende Krisenmanagement und auch die Salamitaktik dazu. Er hat ja immer nur kleine Teile zugegeben – oft zu spät. Das hat auf die Medien verdächtig gewirkt.
Christopher: Ja, das sah schon so aus als hätte er immer nur was zugegeben, wenn es gar nicht anders ging.
Kilian: Genau. Ob die Vorwürfe jetzt gestimmt haben oder nicht. Es sieht nicht gut aus. Dann wird es schwierig, sich als moralische Instanz zu zeigen, die man als Bundespräsident aber unbedingt sein muss. Das ist auch sowas wie die wichtigste Aufgabe für einen Bundespräsidenten.
Christopher: Und da holen ihn auch Aussagen von früher wieder ein. Mit denen Christian Wulff politische Konkurrenten kritisiert und sich selbst als besonders rechtschaffen und ehrlich dargestellt hat. Zum Beispiel das hier in Richtung seiner Konkurrenten.
Christian Wulff, Archivaufnahme: „Er hat sich verheddert in einem Geflecht von Beziehungen, zu denen er nicht die notwendige Distanz gehab hat. Eine wichtige Voraussetzung für das Amt. Es muss nämlich bereits der Anschein vermieden werden, dass jemand bei politischen Entscheidungen nicht nur das Gemeinwohl, sondern auch das eigene Wohl im Auge hat. Das vernichtet Vertrauen der Bürger in Politik.“
Kilian: Und noch dazu hat er ja im Jahr 2007 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Besser die Wahrheit”, ein Gespräch mit dem konservativen Journalisten Hugo Müller-Vogg, in dem er sich geradezu als den Inbegriff des rechtschaffenen, prinzipientreuen Politikers inszeniert.
Christopher: Und da sind wir dann ja schon beim nächsten Thema. Die Medien. Weil: Das ist natürlich eine super Geschichte. Man hat den Bundespräsidenten, der sich immer so inszeniert hat, wie du eben gesagt hast. Und der stolpert jetzt über eine Affäre nach der anderen. Ob da was dran ist oder nicht – es ist in der Welt. Und das ist ja das komplette Gegenteil zu dem, wie er sich selbst darstellen will. Und ja auch dargestellt hat.
Kilian: Es gibt den Satz: „Die Rache der Journalisten ist das Archiv.“ Und das heißt so viel wie: Wenn Medien jemanden auf dem Kieker haben und vermuten, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht – dann schauen sie auch gerne mal: Was haben wir denn über den im Archiv? Und dann kann genau das rauskommen, über was wir gerade gesprochen haben.
Christopher: Man kann sich aber auch fragen: Warum waren denn die Medien so extrem kritisch? Wir haben da ja schon in Folge 4 ganz explizit über die Bild gesprochen. Erst wahnsinnig positiv, dann sehr negativ. Aber Wulff stellt es ja immer auch ein bisschen dar als hätten sich die Medien gegen ihn verschworen.
Kilian: Genau. Das ist das eine. Und wir haben ihn ja auch gefragt, was oder wer ihm das Leben schwer gemacht hat. Da hat er das gesagt:
Episode 8 Wulff Gegner
Christian Wulff: „Diejenigen, die mir wirklich das Leben von Anfang der Nominierung über die Wahl bis zum Schluss schwer gemacht haben, das waren Herausgeber der FAZ, das waren Redakteure aus dem Springer Umfeld und das war der ein oder andere beim Spiegel. Die haben wirklich von Anfang bis Ende mir nach dem Amt getrachtet, und waren dementsprechend sicher zu meinen Gegnern geworden.”
Christopher: Und er legt auch nahe – übrigens auch besonders detailliert in seinem Buch – dass Medien sich zeitweise abgesprochen hätten, um ihn sozusagen zu Fall zu bringen. Und wir sind der Frage nachgegangen: Was ist da dran? Wie kommt Christian Wulff zu diesem Eindruck? Oder ist das vielleicht auch ein bisschen Selbstschutz? Weil: Tatsächlich kann man den Eindruck bekommen. Aber ob es da wirklich Absprachen gab, da kann man schon Zweifel haben.
Kilian: Wir haben da auch wieder mit vielen Leuten gesprochen und uns auch selbst ein Urteil gebildet. Nach allem, was wir so wissen, ist das ziemlich unwahrscheinlich. Also dass sich da wirklich mehrere Medien einen Plan gemacht haben, um den Bundespräsidenten gemeinsam abzuschießen, ein Kartell oder sowas. Auch Stefan Niggemeier, der Medienjournalist, findet das eher abwegig.
Stefan Niggemeier: „Das Problem mit dem Wort Kartell ist, dass es so sehr suggeriert, dass es Absprachen gab, dass Leute sich zusammentun und sich verabreden, dazu, wie man jetzt vorgeht. Das mag es auch gegeben haben. Ich glaube auch, dass manche der Akteure da durchaus sich nahestanden. Das ist aber gar nicht nötig.“
Also nicht nötig heißt ja in dem Fall: Die Geschichte war riesig, alle haben sich sowieso dafür interessiert. Das war ein Mega-Thema für alle, das niemand links liegen lassen konnte.Und Niggemeier sagt auch: er kann sich absolut vorstellen, dass sich das für Wulff wie ein Medienkartell angefühlt hat. Aber dass das wirklich so war – Niggemeier zumindest sieht keine Beweise dafür.
Christopher: Die Geschichte war für viele Medien einfach viel zu interessant als dass sie da nicht drüber berichten wollten. Das war vollkommen klar, dass da jeder dabei war. Weil das Geschäft so einfach funktioniert. Natürlich, es war auch einiges an den Haaren herbeigezogen und hat auch einfach nicht gestimmt.
Kilian: Ja, es war gelogen. Das muss man auch sagen. Und dass sich das für Wulff wie eine Verschwörung angefühlt haben muss, das kann man absolut verstehen. Aber: Das angespannte Verhältnis zwischen ihm und manchen Medien hat schon viel früher angefangen. Man muss sich zum Beispiel mal anschauen, wie die Ausgangslage 2010 war – als Wulff ins Amt kam.
Sein Vorgänger war Bundespräsident Horst Köhler.
Christopher: Der ja überraschend zurückgetreten ist. Eigentlich weiß man bis heute nicht so genau, warum.
Kilian: Ganz genau. Und für ihn wurde damals dringend ein Nachfolger gesucht. Und dafür gab es zwei realistische Kandidaten – Christian Wulff und Joachim Gauck. Das ist der, der später auch Bundespräsident war. Damals war er aber schon einmal Kandidat.
Christopher: Und wie das manchmal so ist: Medien positionieren sich. Bild am Sonntag und der Spiegel waren relativ schnell.
Kilian: Die BILD am Sonntag klang geradezu verliebt: „Yes, we Gauck“. Und auch der Spiegel fand Gauck super.
Christopher: Und im Interview mit Christian Wulff kam durch: Das hat ihm überhaupt nicht gepasst.
Christian Wulff: „Ich wurde donnerstagabends bekanntgegeben als Kandidat und am Wochenende machte die BILD am Sonntag auf: ‚Yes, we Gauck‘, also eine klare Entscheidung für meinen Mitbewerber damals. Der Spiegel machte auf: ‚Der bessere Präsident‘. Joachim Gauck also. Man gab gar keine Möglichkeit, dass sich die Kandidaten jetzt über Wochen zeigen, dass man sie betrachtet, bewertet, mal das Urteil der Bürger abwartet, sondern man hatte sich entschieden bei Spiegel und bei Springer: Unser Kandidat ist Gauck, und Wulff wollen wir nicht. Und das hat dann wochenlang angehalten und war der offenkundige Versuch diese Entscheidung von Parteien zu unterlaufen, weil man nicht einverstanden war: Ein Mann aus der Provinz, ein Mann aus der Parteipolitik, Landespolitik. Man wollte vielleicht auch einfach befragt, beteiligt werden. Man war mit dieser Entscheidung, dieser damaligen CDU-CSU-FDP-Konstellation nicht einverstanden.“
Kilian: Man könnte auch einfach drüber stehen. Aber da ist Wulff ziemlich empfindlich, kann man vielleicht im Nachhinein, nach der heftigen Geschichte, die er erlebt hat, ein bisschen verstehen.
Christopher: Dann kommt aber noch was dazu. In unseren Gesprächen haben wir immer wieder gehört, dass Wulff nie ein großer Freund der Medien war.
Dirk Banse: „Er ist extrem misstrauisch, er ist nachtragend.”
So hat uns das Dirk Banse geschildert, sein persönlicher Eindruck ist das. Er ist der langjährige NDR-Landespolitikkorrespondent in Niedersachsen und hat das Thema wirklich sehr lange und intensiv verfolgt.
Dirk Banse: „Und der Punkt ist: er konnte schlecht mit Medien. Er hatte immer ein großes Misstrauen. Er hat mit Ironie agiert. Ironie ist halt immer schwierig, weil sie nicht jeder versteht. Er hat mit Spott agiert, und er war dazu noch relativ kleinkrämerisch Journalisten gegenüber. Also, da waren so viele Charaktereigenschaften, die sich dann später immer mal wieder gezeigt haben, und wo er versucht hat, Dinge zurückzuhalten, nicht vertrauensvoll auf Leute zuzugehen.”
Kilian: Also kann man schon sagen: Das Verhältnis zu den Medien scheint nie besonders gut gewesen zu sein. In Hannover kam er irgendwann – auch mit der Hilfe von Olaf Gläseker, dem Schattenmann - mit den Medien klar. Besonders mit der BILD.
Christopher: Da hatte er offenbar auch das Gefühl, dass er die Berichterstattung einigermaßen unter Kontrolle hat. Berlin? Völlig andere Geschichte. Medien, die viel härter vorgehen und recherchieren, biestiger formulieren, eindeutig Position beziehen. Das haben wir eben auch gehört: Spiegel und BILD am Sonntag, die sich für Gauck ausgesprochen haben. Es scheint, dass Wulff das gewaltig unterschätzt hat.
Kilian: Also, um mal wieder den perfekten Sturm ins Spiel zu bringen: Da kam wieder einiges zusammen. Die Fehler und die Medien, die die Fehler natürlich gerne aufnehmen. Und die Selbstinszenierung von Christian Wulff, die dann zeitverzögert nach hinten losgeht. Aber da kommt noch mehr dazu. Nämlich das Verhältnis zur eigenen Partei.
Christopher: Als erstes fällt mir da ein: Er hat sich scheiden lassen von seiner ersten Frau – und dann direkt eine Beziehung öffentlich gemacht zu Bettina, die dann ja auch First Lady geworden ist. Und das ist natürlich schwierig in einer Partei wie der CDU. Gerade auch noch in Niedersachsen.
Kilian: Da ist die Partei sehr konservativ geprägt. Viele Katholiken. Da kommt das schon mal nicht so gut an. Noch gravierender aber könnte der Satz gewesen sein, an den sich eigentlich noch jeder erinnert im Zusammenhang mit Christian Wulff.
Christian Wulff: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“.
Kilian: Ein Teil einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit im Jahr 2010. Also ganz am Anfang seiner Zeit als Bundespräsident. Das rechnen ihm viele Menschen mit Migrationshintergrund hoch an. Dass er das gesagt hat. Für viele ist er der bisher einzige Bundespräsident, der auch für sie da war.
Christopher: Das haben uns ja auch Vertreter von Migrantenverbänden so bestätigt. Wir haben ja mit vielen Leuten gesprochen für diesen Podcast. Bei denen ist dieser Satz gut angekommen. Auch eine Sache, die Wulff heute noch beschäftigt.
Kilian: Er ist ja auch heute noch engagiert. Er ist Vorsitzender der Deutschlandstiftung Integration. Spricht häufiger auch noch zu dem Thema. Und ganz konkret hat er schon als Minsterpräsident auch Migrantinnen und Migranten gezielt gefördert: Eine Frau zum Beispiel: Honey Deihimi, CDU-Politikerin. Sie war Integrationsbeauftragte in Niedersachsen. Und sie sieht sein Wirken sehr positiv.
Honey Deihimi: „Sie müssen mal überlegen, dass rot-grün jahrzehntelang immer davon geredet haben, dass man Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gleichberechtigt behandeln soll. Aber keiner hat sie je in irgendeine Landesregierung oder Bundesregierung berufen, und er hat es gemacht. Das tut man, wenn man davon überzeugt ist. Das andere ist, wenn es um den Inhalt geht. Ich glaube auch da, als gerade CDU-Politiker dieses Thema zu besetzen, positiv zu besetzen, ist es wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Und es ist auch nichts, was selbstverständlich mehrheitsfähig ist in der Union.“
Christopher: So. Nächstes Problem. Auf der einen Seite ist das sehr positiv, dass Wulff sich für Migrantinnen und Migranten einsetzt. Auf der anderen Seite hat er damit auch Parteifreunde vor den Kopf gestoßen.
Kilian: Den Hinweis hat uns unser Kollege Michael Götschenberg gegeben. Der hat sich damals intensiv mit der Geschichte beschäftigt und auch ein Buch darüber geschrieben. Und er sagt: Mit dem Islam-Satz hat Wulff damals größere Unruhe verursacht.
Christopher: Das war ja schon fast revolutionär, dass ein Bundespräsident sowas sagt, vor über zehn Jahren auch – wenn er damit im Grunde einfach nur ausgedrückt hat, was Realität ist: In Deutschland leben Muslime – und ja, sie gehören zur Gesellschaft.
Kilian: Eigentlich ja. Aber eben nicht überall selbstverständlich, sagt Kollege Götschenberg.
Michael Götschenberg: „Im Endeffekt hat er mit dieser Aussage seine politische Familie ein Stück weit verprellt. Er hat gleichzeitig sich große Sympathien erworben im rot-grünen Lager. Man kann sagen, dass Wulff nach dieser berühmten Rede zum Tag der deutschen Einheit es eigentlich geschafft hatte, auch die frühere Opposition für sich zu vereinnahmen. Die waren dann in der Krise aber trotzdem nicht bereit, die Kohlen für ihn aus dem Feuer zu holen. Das hätte schon die Union machen müssen, und bei der hatte er politisch doch sehr an Rückhalt verloren.“
Christopher: Es fällt ja schon eins auf. Normalerweise ist das so: wenn jemand aus einer Partei angegriffen wird, dann gib es immer Politikerinnen und Politiker, die sich vor diese Person stellen, sie öffentlich verteidigen. Das war bei Wulff aber irgendwann nicht mehr so richtig der Fall.
Kilian: Und er hatte sich ja auch schon vorher in Niedersachsen nicht nur Freunde gemacht.
Christopher: Möglicherweise hat auch das dazu geführt, dass noch das ein oder andere Gerücht mehr aufkam oder auch die Staatsanwaltschaft in Hannover mehr Druck verspürt hat, doch irgendwas zu machen.
Kilian: Es ist nämlich auch ganz interessant, was Wulff selbst noch sagt. Wir hatten ihn ja gefragt: „Herr Wulff – haben Sie Feinde?“. Und seine Antwort haben wir ja am Anfang dieser Folge gehört. Da hat er lauter Medien aufgezählt. Aber interessant ist auch, was er sonst gesagt hat.
Christian Wulff: „Einzig vielleicht, neben den genannten aus der medialen Welt, war es der Justizminister meines eigenen Heimatlandes Niedersachsen, der im Hintergrund eine sehr unrühmliche Rolle gespielt hat. Aber verantwortlich war für die Staatsanwaltschaft in Hannover. Und das steht natürlich bis heute im Raum.“
Christopher: Der Mann, über den Wulff spricht, heißt Bernd Busemann. Wir haben in der Episode 3 schonmal kurz ankündigt, dass er noch eine Rolle spielen wird. Und genau da sind wir jetzt.
Kilian: Ein weiterer Bestandteil für den perfekten Sturm.
Christopher: Ja. Nächster Punkt: Die Feinde, die er sich im Laufe der Zeit gemacht hat.
Kilian: Was man erst mal wissen muss: Bernd Busemann und Christian Wulff kennen sich schon lange. Beide kommen aus dem Bezirksverband Osnabrück. Man kennt sich, zum Beispiel von Treffen der Jungen Union. 1994 werden beide gleichzeitig in den Landtag gewählt.
Christopher: Busemann sagt sogar: Man konnte fast von einer Freundschaft sprechen.
Kilian: Tja. Und dann kamen die 90er Jahre. Wulff unterliegt zwei Mal bei der Landtagswahl. Und Busemann lehnt sich dann etwas aus dem Fenster, könnte man sagen. In Folge 3 haben wir ja drüber gesprochen. Er hat ein Papier veröffentlicht, in dem er sich sozusagen gegen Wulff stellt.
Christopher: Und an dem Punkt wird aus der Freundschaft mindestens Mal Konkurrenz. Vielleicht sogar Feindschaft.
Kilian: Aber Busemann spielt eine wichtige Rolle in der Partei, der CDU in Niedersachsen. Er wird später Kultusminister unter dem Ministerpräsidenten Wulff in Hannover. Und noch etwas später dann Justizminister. Das hat Wulff selbst veranlasst.
Christopher: Soweit, so normal in der Politik. Aber Wulff selbst setzt einen neuen Spin. Und jetzt wird’s spannend. Busemann ist auch dann noch Justizminister als Wulff schon Bundespräsident ist. Und da macht Wulff jetzt eine interessante Andeutung.
Christian Wulff: „Der war die ganze Zeit involviert, hat sich über alles berichten lassen und er war natürlich informiert und involviert in die Frage, ob die Immunität aufgehoben werden soll oder nicht.”
Kilian: Was Christian Wulff hier also andeutet: Bernd Busemann soll als Vorgesetzter irgendwie Einfluss genommen haben auf die Staatsanwaltschaft Hannover – also die, die beantragt hat, die Immunität von Wulff aufzuheben.
Christopher: Was am Ende ja dazu geführt hat, dass Christian Wulff zurücktreten musste.
Kilian: Exakt. In seinem Buch schreibt Wulff das übrigens sehr deutlich.
Christopher: Und das ist schon ein krasser Vorwurf, muss man sagen. Wir haben Bernd Busemann natürlich auch gefragt, was er davon hält. Also von der Behauptung, dass es irgendwie Kontakt oder sogar ein Meeting gegeben haben soll, in dem entsprechende Anweisungen gegeben wurden.
Bernd Busemann: „Wenn das so gewesen wäre, dann wäre das ein Justiz-Skandal ersten Ranges in der Republik gewesen. Mit Recht. Aber dieses Meeting hat es nie gegeben. Und das muss irgendwie über den Flurfunk zu ihm gekommen sein, wo er sagt, und da ist die Sauerei angezettelt worden und haben sie mich verfolgt und mein Partei-Freund der lässt das Ganze noch zu oder steckt da möglicherweise dahinter. Es hat ja Indiskretionen und was nicht alles gegeben. Aber dieses Meeting, das hat es nie gegeben. Diese Anzettelung einer Kampagne, der Justiz verantwortet von mir gegen Wulff hat es nie gegeben. Aber das setzt sich bei ihm so fest, als hätte es das gegeben.”
Kilian: Christian Wulff sagt: das war eine Kampagne gegen ihn. Bernd Busemann sagt: da ist nichts dran, und Wulff hat sich verrannt.
Christopher: Also ganz klassisches Ding: Es steht Aussage gegen Aussage. Wir haben uns gefragt: wer kann uns dabei helfen, das zu bewerten, das einzuordnen. Und haben darüber mit Hans Leyendecker gesprochen.
Kilian: Er war lange einer der bekanntesten Investigativ-Journalisten in Deutschland. Und er äußert Kritik an Busemann.
Hans Leyendecker: „Das was man sehen kann ist, dass er jedenfalls in diesem Verfahren drinblieb, was er nie hätte tun dürfen. Also ich glaube, da muss sich ein Justizminister völlig raus halten aus dem. Und muss es dann im Ministerium, wenn das Ministerium in einem wichtigen Verfahren unbedingt dabei sein möchte, den Abteilungsleiter machen lassen. Das gehört sich einfach nicht. Das ist so durch die Geschichte dieser Republik auch erklärt, weil wir zu viele politische Verfahren erlebt haben in diesem Land. Und dass sowas wieder kommt hätte ich nicht für möglich gehalten.”
Wir haben auch mit dem NDR-Korrespondenten Dirk Banse über all das gesprochen. Er schätzt das anders ein.
Dirk Banse: „Ich glaube nicht, dass der Einfluss von Bernd Busemann dann im Prozess als Justiz-Minister und dann auch zuständig für die Staatsanwaltschaft so bedeutend ist, dass er da gedrückt hat. Gar keine Frage. Dass Bernd Busemann daran interessiert war, dass das aufgeklärt wird, auch keine Frage. Dass Bernd Busemann bis heute kein Freund ist von Christian Wulff, auch keine Frage. Aber da könnte ich noch zehn andere aus der Union hier in Niedersachsen nennen. Zu der Zeit des Skandals war Busemann halt Justizminister, hätte da auch fingern können. Ich glaube er war sehr interessiert an dem Fall. Ich glaube nicht, dass er politischen Einfluss genommen hat.”
Christopher: Und hier müssen wir zugeben: Wir wissen es nicht, inwiefern die These von Christian Wulff stimmt, dass Bernd Busemann beim Verfahren mitgemischt hat.
Kilian: Was wir gehört haben: Busemann hat womöglich die Akten angesehen, womöglich war er auch sehr interessiert an dem Ganzen. Aber wir können nicht bestätigen oder widerlegen, dass er die Staatsanwaltschaft gedrängt hätte oder sowas.
Christopher: So. Kehren wir mal zum Bild zurück. Der perfekte Sturm. Da kam jetzt schon ziemlich viel zusammen.
Kilian: Und dann kamen noch die Dinge dazu, für die Wulff gar nichts konnte und die er nicht beeinflussen konnte.
Christian Wulff: „Es gab ja wirklich den Monaten...gab es keine Entführung, kein Attentat, keinen Absturz. Es gab nicht ein einziges anderes Thema. Zwischen dem 9. Dezember und weiß ich nicht, 17. Februar ist wirklich nicht passiert, muss man auch fairerweise jetzt irgendwie sagen...“
Christopher: Das heißt: Alle berichten jeden Tag über Wulff, weil es das einzige große Thema war. Normalerweise werden Themen weniger wichtig und verschwinden irgendwann, aber nicht beim Fall Wulff. Das kennen wir ja selbst – wir haben auch ganz klassisch Radionachrichten gemacht. Auch für SWR3.
Kilian: Und da sitzt man dann: Man berichtet über das, was da ist. Und es gab in dieser Zeit tatsächlich wenig anderes.
Christopher: Aber gerade weil das so ist, kommt dann auch noch der Wettbewerb zwischen den Medien dazu. Alle wollen was neues rausfinden. Und da hat sich eine Art Jagdfieber entwickelt. Das hat sich immer wieder von selbst befeuert alles. Hans Leyendecker sagt dazu:
Hans Leyendecker: „Die Meute, die Dich verfolgen will, wird niemals satt. Es ist ja ein großes Glück, dass er nicht von der Brücke gegangen ist.“
Christopher: Und da muss man einfach auch klar sagen: Die Medien haben sich damals ziemlich wenige Gedanken darüber gemacht, ob das überhaupt alles so richtig ist, was da passiert.
Kilian: Ja. Es gab wenig Selbstreflektion. Um nicht zu sagen: Gar keine. Was offenbar ja sogar dazu geführt hat, dass sich manche provoziert gefühlt haben, weil Wulff überhaupt nicht daran gedacht hat, zurückzutreten. In Episode 6 haben wir doch sehr ausführlich beschrieben, wie respektlos manche Reporter waren. Und auch der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat das so wahrgenommen:
Stefan Niggemeier: „Und ich glaube, was da passiert ist, ist dass dann Journalisten gesagt haben, das kann so nicht bleiben. Wir müssen im Grunde solange gegen den anschreiben, bis der weg ist.“
Christopher: Also eine Art Machtkampf. Und eins darf man auch nicht unterschätzen, wenn wir über die äußeren Einflüsse damals sprechen. Generell sind alle sensibler geworden, was das Verhalten von Politikern angeht. Und das hat auch mit ihm hier zu tun:
Karl-Theodor zu Guttenberg, Archivaufnahme: „Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat, und den Vorwurf weise ich mit allem Nachdruck von mir.“
Kilian: Ja, der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU. Der sich hier ziemlich dreist verteidigt, denn immerhin hat er fast alles in seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Kam allerdings erst nach dieser Verteidigung raus. Aber da gibt es inzwischen auch gar keinen Zweifel mehr.
Christopher: Das war ja nur ein paar Monate vor der Wulff-Affäre. Ein riesen Ding. Überall sind Plagiatsjäger aufgetaucht, haben Politiker durchleuchtet. Allgemein gab es viel Misstrauen damals. Politiker standen ganz besonders unter Beobachtung.
Kilian: Also nochmal zusammengefasst: Da kam einiges zusammen, auf das Wulff gar keinen Einfluss hatte. Und dann kamen noch viele Fehler dazu, die er selbst gemacht hat. Medien, die um jeden Preis Neuigkeiten haben wollten – und, ja, sicherlich auch viel falsch gemacht haben. Und gleichzeitig schlechtes Krisenmanagement und eine Partei, die nicht hinter dem Bundespräsidenten stand. Da stellt man sich schon die Frage: Wie hätte das gutgehen sollen?
Christopher: Der perfekte Sturm. Nur weil ich es jetzt auch mal sagen wollte.
Kilian: Genau das.
Christopher: Jetzt kann man sich noch fragen: Was bleibt am Ende von dieser Geschichte?
Kilian: Auf jeden Fall die Frage: Kann das alles rechtfertigen, was Christian Wulff erdulden musste? Dass quasi sein Leben zerstört wurde? Dass Christian Wulff ein Unvollendeter bleiben wird? Und ich fand diesen Effekt auch ganz interessant. Wenn man mit ihm spricht, dann hat er schon eine Aura der Nostalgie. Weil er weiß: Man kann das alles nicht rückgängig machen. Diese Sache wird immer mit mir in Verbindung gebracht werden. Mich hat das nicht unberührt gelassen.
Christopher: Ging mir ganz genau so. Ich finde aber, man kann schwer allgemeingültig sagen, ob das alles gerechtfertigt war. Auf der einen Seite: Ja, so funktionieren Medien. Jeder will eine Geschichte, dafür sind auch viele Mittel recht. Aber auf der anderen Seite eben: Das zerstörte Leben.
Kilian: Und es ging, finde ich, aber auch noch um eine andere Frage: Konnte Christian Wulff uns alle noch würdig vertreten? Das war die Frage, die immer mit dabei war. Und daran kann man schon zweifeln.
Christopher: Schließlich ging es immer darum, dass er der höchste Mann im Staat war. Der Mann muss alles im Griff haben. Und den Eindruck hat er einfach nicht gemacht.
Kilian: Am Ende bleibt der Eindruck: Alles, was da passiert ist, war schon ziemlich unwürdig.
Christopher: Das ist ja ein Wort, was alles ganz gut beschreibt, was damals passiert ist: Die Amtsführung war in den letzten Wochen schon auch unwürdig. Der Umgang der Medien mit ihm war unwürdig.
Kilian: Dass viele ihm nochmal einen mitgeben wollten – auch sehr unwürdig. Die Rotlicht-Gerüchte um seine Frau ganz zu schweigen.
Christopher: Der Abgang. Dass man ihm nichts mehr gegönnt hat. Keinen Ehrensold, keinen Zapfenstreich. Auch wenn er beides bekommen hat. Und stand er zum Schluss ziemlich alleine da.
Kilian: Das war wirklich alles sehr unwürdig. Und am Ende bleibt noch die Frage: Hat Christian Wulff die Würde eigentlich nach seinem Freispruch zurückbekommen?
Christopher: Und so unbefriedigend das klingen mag: Das wiederum ist eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss.