„Schluss mit dem Heißhunger“ – der Titel des Buchs verrät schon, wo die Reise hingehen wird: Gibt es eine Möglichkeit für uns, mit kleinen Ernährungstricks besser durch den Tag zu kommen und langfristig gesünder zu leben?
Autorin Jessie Inchauspé sagt: Ja! Wir schauen uns ein paar ihrer Tricks genauer an und beantworten auch die Frage: Wie sinnvoll ist die Glukose-Kontrolle für Menschen ohne Diabetes? Spoiler: Geht so. Aber lest selbst:
- Was bringt ein herzhaftes Frühstück gegen einen hohen Blutzuckerspiegel?
- Hilft eine Reihenfolge beim Essen?
- Ist Apfelessig der Gamechanger in der Ernährung?
- Beeinflussen zehn Minuten Bewegung schon den Blutzuckerspiegel?
- Helfen Nahrungsergänzungsmittel für einen stabilen Blutzuckerspiegel?
- An wen richten sich ihre Tipps wirklich und ist das sinnvoll?
1. Herzhaftes Frühstück gegen einen hohen Blutzuckerspiegel?
Kein Müsli und kein Obstsalat zum Frühstück: Diese Zuckerbomben würden den Blutzucker schon am Morgen in die Höhe treiben. Mit einem Vergleich macht Inchauspé ihre Botschaft besonders deutlich: „Eine Schüssel Haferflocken ist wie ein Teller Pasta und Hafermilch im Kaffee ist wie Pasta-Milch.“ Im SWR3-Interview haben wir darüber mit dem Fitness-Coach und Ernährungsexperten Patric Heizmann gesprochen. Er differenziert stärker, stimmt aber grundsätzlich zu:
Wie könnte ein ausgeglichenes Frühstück morgens aussehen? Dafür macht er folgende Beispiele:
- Griechischer Joghurt mit Beeren
- Rührei mit Gemüse oder Linsen
- Möhren mit Hummus-Dip
- Körniger Frischkäse mit sauren Gurken
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2. Hilft eine Essens-Reihenfolge gegen hohe Glukosewerte?
Ein Glukose-Trick der selbsterklärten „Glukose-Göttin“: Essen nach Farben. Kein Witz: In ihrem Buch heißt ein Kapitel tatsächlich „Iss vor jeder Mahlzeit eine grüne Vorspeise“. Dahinter versteckt sich die Idee, den Körper zum Anfang der Mahlzeit mit der Verdauung des Gemüses zu beschäftigen.
Danach würden Proteine folgen und zum Schluss der Zucker. Wir halten das mal auf einem Teller fest: Zuerst sind die grünen Bohnen dran, dann das Steak und am Schluss die Pommes mit Ketchup. Oder?
SWR-Ernährungsberaterin Sabine Schütze bestätigt die Aussage in Bezug auf die Aufnahme von Kohlenhydraten. Wenn unser Körper erst mal damit beschäftigt ist, Fette und Eiweiße zu verstoffwechseln, würden Kohlenhydrate langsamer ins Blut gelangen. Das funktioniere aber nicht nur mit grünen Lebensmitteln und auch nicht nur streng hintereinander:
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Eine Studie hat die Auswirkung der Essensreihenfolge schon im Jahr 2017 untersucht. Die Glukosespitzen waren um 54 Prozent geringer, wenn die Kohlenhydrat-Lebensmittel zuletzt gegessen wurden. Also Haken dran? Nicht ganz.
In dieser Studie (und anderen ähnlichen) wurden die Auswirkungen bei Typ-2-Diabetes untersucht. Menschen ohne Diabetes wurden dahingehend nicht getestet. Und das ist ein Umstand, auf den wir noch häufiger stoßen werden. Für wen schreibt Inchauspé ihre Tricks?
3. Was bringt Apfelessig für eine gesunde Ernährung?
Apfelessig liest sich wie die Wunderwaffe für eine Ernährung mit stabilem Blutzuckerspiegel (auf einen weiteren „Gamechanger“ gehen wir weiter unten noch ein). Mit einem Esslöffel Apfelessig mindestens 20 Minuten vor der Mahlzeit könne der Magen weniger Glukose aufnehmen. Einfach mal morgens ins Wasser geben und das dann trinken. Ist es so einfach?
Hier kommt es auf die Menge an, denn ein Wundermittel ist der Apfelessig eben nicht. Die Theorie sieht so aus: Essig sorgt unter anderem dafür, dass Stärke und Zucker etwas langsamer in Glukose umgewandelt werden. Diesen Effekt gibt es tatsächlich.
Man könnte schlussfolgern, dass damit ohne Probleme mehr Zucker gegessen werden kann – die Annahme ist aber falsch. Fitness-Coach Patric Heizmann erklärt die Grenzen des Effekts:
Und das ist ein entscheidender Punkt, der auch für andere aufgeführte Tricks gilt: Ein Gegengewicht zum hohen Blutzuckerspiegel heißt nicht, dass deshalb mehr Zucker okay ist.
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4. Bewegung gegen einen hohen Glukosespiegel: Wie viel ist nötig?
Ein weiterer Glukose-Trick: Damit der Blutzuckerspiegel gar nicht erst ansteigt, solle man die Glukose durch Bewegung direkt wieder verwerten. Dafür muss laut Inchauspé kein riesen Workout gestartet werden: Zehn Minuten Betätigung reichen. Ob Betten machen, Staubsaugen oder Spazierengehen.
Sowohl Patric Heizmann als auch SWR-Ernährungsexpertin Sabine Schütze sagen: Ja! Bewegung hilft, um Glukosespitzen zu vermeiden oder abzuflachen. Der Aufwand muss nicht einmal besonders groß sein. Die Aktivierung des Körpers sorgt dafür, dass überschüssige Glukose schneller in die Muskeln gelange.
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5. Helfen Nahrungsergänzungsmittel für einen guten Glukose-Spiegel?
Wie immer: Gibt es Optimierungspotenzial im Körper, gibt es auch Pillen dafür. Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel steigt stetig und hat im vergangenen Jahr einen Wert von 1,78 Milliarden Euro allein in Deutschland erreicht.
Das Ziel eines ausgeglichenen Blutzuckerspiegels ist da keine Ausnahme. Jessie Inchauspé äußert sich in einem Interview bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Einnahme von Medikamenten folgendermaßen:
Das „Auf den Körper hören“ schließt Nahrungsergänzungsmittel für sie aber anscheinend nicht aus: Neben einfachen Tricks wie Bewegung bietet sie eigene Pillen an, die das vermeintliche Problem der Glukosespitzen nach dem Essen lösen sollen. „Hier beginnt die Magie. Und es ist alles Wissenschaft“, so der vielversprechende Slogan.
Das konkrete Versprechen hinter ihren Nahrungsergänzungspillen:
Ist das also der Gamechanger, der es uns erlaubt, endlich ohne schlechtes Gewissen Kuchen zu essen? Biochemikerin Inchauspé schwört auf ihr Produkt: „Der neue ultimative Hack [...] Wenn du einen meiner Essenshacks nicht machen kannst oder einfach, wenn du Unterstützung dabei möchtest.“
Die Pillen enthalten vier Bestandteile:
- Maulbeerblatt
- Zitrone
- Zimt
- Antioxidantien
Bei der Wirkung stützt sie sich auf Studien, die die Wirkung der einzelnen Bestandteile untersucht haben. Elf davon führt sie auf ihrer Website auf; die meisten davon hatten nur zwischen 15 und 38 Teilnehmer. Wissenschaftlich gesehen ist das wenig aussagekräftig.
Außerdem handelt es sich teilweise um Studien im Diabetes-Kontext. Das stellt einmal mehr die Frage danach, für wen diese ganzen Glukose-Tricks, wenn sie funktionieren, denn gedacht sind?
An wen richten sich die Glukose-Tricks – (Nicht-)Diabetiker?
Jessie Inchauspé hat selbst kein Diabetes, war aber nach eigener Aussage nach einem Unfall und Depressionen „wie verrückt auf der Suche danach, was einen gesunden Körper ausmacht.“ Bei der Beobachtung ihres Blutzuckerspiegels fiel ihr auf, wie hoch dieser Wert nach dem Essen ist, obwohl sie gar nicht krank sei. Solche Glukose-Spitzen hätten 90 Prozent der Menschen und dagegen wolle sie etwas tun.
Ihre Glukose-Tricks und Pillen richten sich also konkret an ein Publikum, das kein Diabetes hat. Das macht die meisten der von ihr aufgeführten Studien nichtig, weil sie auf einer anderen Grundlage basieren.
Für Nicht-Diabetiker kann es aber durchaus hilfreich sein, die Spitzen zu vermeiden, erklärt noch mal SWR-Ernährungsberaterin Sabine Schütze:
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Muss man zwingend etwas gegen Blutzucker-Schwankungen tun?
Schwankungen sind völlig normal. Bei Nicht-Diabetikern sind Schwankungen im Bereich zwischen 60 und 140 mg /dl normal. Der Wert hängt übrigens nicht nur mit dem Essen zusammen, sondern auch zum Beispiel mit Stress, Schlafstörungen, allen möglichen Hormonen oder auch Fieber.
Das zeigt: So einfach ist das mit der Glukose-Kontrolle gar nicht. Ja, Bewegung nach dem Essen hat einen Einfluss. Einige Tricks können durchaus helfen, die Glukosespitzen abzuflachen. Das heißt aber nicht, dass man zwingend immer alle Tricks einhalten muss.
Solltet ihr das Gefühl haben, dass euer Blutzuckerhaushalt durcheinander ist, lohnt sich der Gang zum Hausarzt. Dort kann auf eure individuelle Situation eingegangen werden. Zu Beginn des Buchs zu den Glukose-Tricks weist Jessie Inchauspé übrigens auch noch mal genau darauf hin:
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Fazit: Was bringen Glukose-Tricks?
Wer von ernsthaften Schwankungen des Blutzuckerspiegels betroffen ist, sollte sich an ärztliches Fachpersonal wenden – das sagt auch Jessie Inchauspé.
Wer im Normalbereich liegt oder das Gefühl hat, das Tief nach einem Glukosehoch ein bisschen abschwächen zu wollen, der kann mit den einfachen Tricks experimentieren. Grundsätzlich sind Schwankungen aber nichts, wovor man Angst haben muss.
Die Wirksamkeit der Nahrungsergänzungsmittel ist wissenschaftlich mehr als strittig. Zudem kosten sie je nach Angebot 40 bis 60 Euro für 60 Kapseln (30 Portionen). Ob einem das Experimentieren mit dem eigenen Blutzuckerspiegel das wert ist, ist jedem selbst überlassen – die angepriesenen Effekte konnten wissenschaftlich aber nicht einwandfrei nachgewiesen werden.